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Zuviel lieber sein als ein Zuwenig; aber
auf Seite 50 schreibt er: »Kein Volk
hätte länger als ganz kurze Zeit in der
engen Form des Hellenismus auszuharren
vermocht, ohne sie in Raserei entzwei-
zuschlagen oder zu entschlummern.« Und
das soll das Ideal menschlicher Cultur
sein? Ein Zustand, der nothwendig ent-
weder zum Wahnsinn oder zum Einschlafen
führt? Und an diesem zweiten Beispiel
des gänzlichen Mangels an jedem conse-
quenten Denken haben wir zugleich ein
Beispiel für Das, was ich oben den Mangel
an innerer Wahrheit nannte. Fast jedes
Urtheil Heidenstams ist grundfalsch. Nie,
glaube ich, habe ich auf dem knappen Raume
von bloß 52 Seiten eine solche Menge
verkehrter Behauptungen gefunden, und
ich rede hier nicht von den Folgerungen,
da hier Bildung, Umgebung, Temperament,
Interesse die Menschen weit auseinander-
führt, sondern von jenen Grundeinsichten,
die allen klarblickenden Augen gemeinsam
sind. So behauptet Heidenstam z. B. S. 37:
»Augenblicklich bekundet sich eine all-
gemeine Geneigtheit, die Bedeutung des
Hellenismus und der Renaissance auf das
möglichst Geringste zu reducieren.« Das
ist absolut falsch. Die Bedeutung des
Hellenismus und der Renaissance wird
täglich klarer erkannt, doch täglich — gott-
lob — weniger in der schematischen Auf-
fassung jener »Kunstgeschichten« und
»ästhetischen Lehrbücher«, auf die uns
Heidenstam (S. 27) verweist. Denn in-
zwischen sind geschichtliche Kenntnisse
und Selbstbesinnung dazu gekommen, und
wir haben erkennen gelernt, dass der
Begriff von »Classicität«, aus dem
Heidenstam als sehr verspäteter Nachzügler
Capital schlagen möchte, ein durch und
durch falscher, hohler, erlogener ist. Was
die Renaissance anbetrifft, so weiß die
Kunsthistorik und die Geschichte der
Wissenschaft heute, dass unsere Sculptur,
unsere Malerei, unsere Musik, unsere
Mathematik, unsere Mechanik, unsere
Astronomie, auch in Italien das Tre-,
Quatro- und Cinquecento keine Wieder-
geburt antiker Fähigkeiten darstellen, son-
dern dass sie das erste Aufblühen der
echten nordischen Saat unter südlichem
Himmel sind. Und des weiteren ward
es heute allen (außer einigen alten Schul-
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pedellen) klar, dass die Zusammenfassung
von Hellas und Rom zu einem einheit-
lichen Begriff des »Classischen« eine ge-
dankenlose Unzulässigkeit ist. Je selbst-
ständiger, je leistungsfähiger wir Germanen
werden, je bewusster uns unsere besondere,
unterscheidende Eigenart wird, umso höher
steigt unsere Bewunderung hellenischer
Leistungen auf künstlerischem und wissen-
schaftlichem Gebiete, und wir erkennen
es als frech und sinnlos zugleich, ein
derart Unvergleichliches, durch und durch
Individuelles, nie Wiederkehrendes nach-
zuahmen. Dass wir aber — bei aller
Bewunderung für das große sociale und
politische Werk Roms — dieses auf gei-
stigem Gebiete absolut unfruchtbare Volk,
welches zu keiner Zeit einen einzigen
Mann hervorgebracht hat, der in Poesie
oder Wissenschaft Geniales geleistet hätte,
dass wir diese ungeheure Sterilisierungs-
anstalt, welche in ihrer schöpferischen Im-
potenz den Begriff des »classisch Schönen«
erfand, um unter herzloser technischer
Imitation das eigene Unvermögen zu
verhüllen, dass wir dieses Rom, von wel-
chem wir heute (dank Prof. Hueppes
Arbeiten) wissen, dass selbst seine Aquä-
ducte und Cloaken, die wir bisher als sein
Eigenes bewunderten, nur schwache Imi-
tationen der althellenischen waren, dass
wir es mit Hellas zusammen zu dem einen
Begriff »classische Cultur« amalgamieren,
dass wir zugleich vor Gott und vor Beelze-
bub knien und beide in ein und dasselbe
Gebet schließen sollen, das freilich ist
zuviel verlangt. Nicht aber die Bedeutung
des Hellenismus, sondern die Bedeutung
des Classicismus ist es, die wir bekämpfen,
und die wir nicht allein auf ein »möglichst
Geringes«, sondern bis auf das Nichts
einer entlarvten Lüge zurückzuführen nicht
ermüden werden. Und nun gar die
»Classicität« nach Heidenstams Be-
griff, die alles Nichtgermanische mit glei-
cher Liebe umfasst, die Sardanapal als
»das höchste Menschliche« vor unsere
Augen hinstellt (S. 7) und einen Na-
poleon III. als ihren Ritter gegen die
»Barbaren« zu Felde ziehen lässt, gegen
die geborenen »Dunkelmänner« (wie der
Autor sie p. 35 nennt), d. h. die Söhne
Goethes, Winkelmanns, Herders, Hum-
boldts, Mozarts, die Söhne der größten
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