|
In den Ausstellungsräumen der »Ver-
einigung bildender Künstler Österreichs« sind
jetzt u. a. vier Bilder Toorops (»Die junge
Generation«, »Die drei Bräute«, »Sphinx«, »Die
thörichten und die weisen Jungfrauen«) zu
sehen, die neuerdings zu Missverständnissen
Anlass geben. Aus diesem Grunde sei auf die
beiden Aufsätze über den Künstler verwiesen,
die in den Heften vom 15. April und 1. Mai
1899 (»Wiener Rundschau«, III. Jahrg., Nr. 11
und 12) erschienen sind.
Jan Toorop wurde 1860 in Poerworedjo
auf Java geboren. Sein Vater, zuletzt Resident
von Sambas (Nord-Borneo), war von nordischer
Abkunft, seine Mutter das Kind eines Eng-
länders und einer Javanerin. In Holländisch-
Indien blieb Jan Toorop bis zu seinem 13. Lebens-
jahre. Dann kam er nach Leyden, Delft, Haag,
Amsterdam, Brüssel, Paris, Florenz, Venedig,
London etc., um sich schließlich (Mai 1890)
von Brüssel aus — nach einer sehr schicksals-
reichen Jugend, die ihn mit den bedeutendsten
Meistern seiner Zeit in Berührung gebracht —
in Katwijk aan Zee niederzulassen, wo er
noch heute lebt. In Katwijk begann sein
Suchen nach einem gesteigerten Ausdruck der
Farbe und sein Bemühen, durch coloristische
Contraste Stimmungen auszudrücken, wie das
die »Junge Generation« verdeutlicht. Er
fieng auch an, durch unterschiedliche Linien-
bewegungen Gefühlswerte zu veranschau-
lichen. So sucht er z. B. durch stille, sanfte
Linien den Eindruck eines stillen, sanften
Abends, durch gejagte und schreiende Linien
die Essenz von Wind, Regen und Sonne zu
geben, oder er bringt trübe und lachende
Linien und verschärft dadurch den Ausdruck
der dargestellten Dinge. Auch wendet er diese
Linien, um so das Werk mehr zu seinem har-
monischen Ganzen kommen zu lassen, als
decorative Füllung an, ohne dass der Gesang
der Linien den Ausdruck und die Stimmung
der Gestalten brechen würde.
Im Jahre 1892 fand zu Amsterdam die
erste Gruppen-Ausstellung Hollands statt. Hier
stellte Toorop die »Junge Generation«, den
»Garten der Leiden« und die »Rôdeurs« aus,
die das Interesse an seinem Talent und seiner
Persönlichkeit sehr festigten. Namentlich wurde
seine »Junge Generation« viel besprochen, und
diese merkwürdige Leinwand, sehr eigenartig
in ihren Farbencontrasten gemalt, gab Ver-
anlassung zu den widersprechendsten Aus-
legungen, während sie in Wirklichkeit nichts
anderes als das Verhältnis eines Kindes
zu seiner Mutter symbolisiert. Im Winter
1892—93 entstanden die viel beredeten »Drei
|
Bräute«, eine Zeichnung, die in die Aus-
stellung des »Nederlandsche Etsclub« (Ra-
diererclub) nach Amsterdam geschickt wurde,
wo sie am Eröffnungstage von der Firma
v. Wisselingh & Co. angekauft wurde und starke
Sensation erregte. Im Jahre 1893 gab es eine
sehr vollständige Ausstellung seiner Werke im
»Haagsche Kunstkring« und in Leyden. In
diesem Jahre wurde er auch aufgefordert, eine
gleiche Ausstellung in München abzuhalten,
wo ein eigener kleiner Saal für ihn eingerichtet
wurde. Die Frau des Malers Hans Bartels
übersetzte damals Commentare zu seinen Wer-
ken, die ungetheiltes Interesse fanden und in
Deutschland eine heftige und einflussreiche
Bewegung entstehen ließen. — Zu seinen letzten
Arbeiten gehört das Hauptwerk »Die Sphinx«.
Universell betrachtet, ist Toorop eine höchst
merkwürdige und sehr eigenartige Erscheinung
in unserer Kunst. Während die Maler in
Holland fast immer von Haus aus Naturalisten
oder Realisten waren, weist das Talent Toorops
eine Abkehr von dieser nationalen Weise auf
und zeigt uns philosophische und symbolische
Auffassungen, die selbst im Mittelalter nur
höchst selten in niederländischer Kunst sich
hervorgewagt. Zum größten Theile muss dies
dem sehr verschiedenen Ursprung der Vor-
fahren zugeschrieben werden, die Toorops
Stammbaum bilden. Man muss sehr weit
zurück- und auseinanderliegende Altvordern
aufspüren, um die Genesis seiner Person und
seiner Kunst zu ergründen; und so gewahrt
man, dass er durchaus nicht aus einem Stück
gehauen ward, und dass ihn all die verschie-
denen Elemente, die physisch und also auch
moralisch zu seinem Entstehen beigetragen,
zu einer sehr aparten und vielseitigen Persön-
lichkeit machen mussten. So sind in Toorops
Werken sehr ansehnliche Spuren von java-
nischer und norwegischer Mythologie
zu finden, die sich mit englischer Zartheit
und mit einem eigenartig coloristischen Tem-
perament verbinden.
Was an Toorop immer gewürdigt, ja be-
wundert werden muss, auch wenn man das
Symbolische in seinen Werken nicht immer
zu begreifen vermag, das ist die plastische
Ausführung. Da stehen in erster Reihe sein
Geschmack, seine Farbendeutung, sein Dar-
stellungsverständnis, die Grazie, der elegante
Linienbau seiner Compositionen, die Ausdrucks-
vornehmheit der Gestalten in seiner edel-realen
Auffassung, die delicate, sensible Tastlebendig-
keit seiner Hände und Finger, die so individuell
und zierlich ausgearbeiteten ornamentalen Mo-
tive. Und neben diesen malerischen Qualitäten
|