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besser war als sie selbst; nur seine Augen
waren kalt und stolz wie beim König der
Vögel. Und man unterhielt sich mit ihm,
und er antwortete, wenn es ihm beliebte,
oder aber er schwieg. Und als die Ältesten
des Stammes kamen, sprach er mit ihnen
wie mit seinesgleichen. Das kränkte sie,
und sie nannten ihn einen ungefiederten
Pfeil mit ungeschliffener Spitze und sagten,
dass tausend solcher Leute wie er ihnen
Achtung und Gehorsam erwiesen, und
ferner tausend, die zweimal so alt wie er.
Er aber schaute sie stolz an und erwiderte,
dass Wesen wie er nicht weiter vorhanden
wären, und wenn alle Welt ihnen Achtung
erwiese, so wolle er sie ihnen nicht er-
weisen. O! da geriethen sie vollends in
Zorn! Sie geriethen in Zorn und sprachen:
Für ihn ist kein Platz unter uns! Mag
er gehen, wohin er will! Er brach in
lautes Gelächter aus und gieng, wohin er
wollte: zu einem hübschen Mädchen, das
ihn unverwandt anblickte, trat zu ihr und
umarmte sie. Sie war aber die Tochter
eines der Ältesten, die ihn verurtheilt
hatten. Und obgleich er hübsch war, stieß
sie ihn zurück, weil sie ihren Vater
fürchtete. Sie stieß ihn zurück und gieng
fort; aber er schlug sie, und als sie fiel,
trat er mit dem Fuße auf ihre Brust,
trat so heftig darauf, dass Blut aus ihrem
Munde zum Himmel spritzte, sie schwer
aufseufzte, sich wie eine Schlange krümmte
und starb. — — Alle, die das mit an-
gesehen, wurden von lähmendem Schreck
ergriffen, da zum erstenmale so vor ihren
Augen ein Weib getödtet worden war;
und lange schwiegen alle und sahen sie
an, die mit offenen Augen und blut-
bespritztem Munde dalag und wortlos
Rache heischte, und sahen ihn an, der
neben ihr Allen allein gegenüberstand und
so kalt und stolz war, dass er seinen Kopf
nicht beugte und seine Strafe von ihnen
zu verlangen schien. Als man endlich zur
Besinnung kam, ergriff man ihn, band ihn
und ließ ihn so, da ihn sofort tödten
allzu einfach, nicht demüthigend genug
gewesen wäre und niemanden befriedigt
hätte.« —
Die Nacht wuchs, wurde dichter, füllte
sich mit sonderbaren leisen Tönen und
nahm eine immer phantastischere Färbung
an. In der Steppe pfiffen traurig die Ziesel-
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mäuse; im Weinlaub zitterte das gläserne
Gezirpe der Heimchen; die Blätter säuselten
und flüsterten, und die volle, vorhin blut-
rothe Mondscheibe erblasste im Fort-
wandern von der Erde — erblasste und
überströmte die Steppe immer reichlicher
mit bläulichem Nebel
»Und da versammelten sie sich, um
diejenige Strafe zu ersinnen, die seinem
Verbrechen angemessen wäre Man
schlug vor, ihn von Pferden zerreißen zu
lassen — aber das erschien ihnen zu wenig;
man schlug vor, alle sollten ihre Pfeile
auf ihn abschießen — aber auch das
wurde abgelehnt; man schlug vor, ihn zu
verbrennen — aber der Rauch des Scheiter-
haufens würde sie seine Qualen nicht sehen
lassen; man schlug vieles vor und fand
doch nichts, das geeignet gewesen wäre,
allen zu gefallen und sie zu befriedigen.
Seine Mutter aber lag vor ihnen auf den
Knien und bat ohne Thränen und Worte
um Erbarmen. Man redete lange hin und
her, und dann sagte ein Weiser, der
geraume Weile nachgedacht: Fragen wir
ihn, warum er die That begangen hat.
Und sie fragten ihn. Er aber sprach:
Bindet mich los; gebunden spreche ich
nicht mit euch!
Und als man ihn losgebunden hatte,
fragte er: Was wünscht ihr von mir?
Er fragte aber, als ob sie seine Sclaven
wären
Du hast es gehört, sagte der Weise.
Warum soll ich euch mein Thun
erklären?
Um uns verständlich zu sein; du
Stolzer, gehorche! Du stirbst trotz alle-
dem Lass uns aber begreifen, was
du gethan. Wir bleiben leben, und es ist
uns nützlich, mehr zu wissen als bislang
Gut, ich werde es euch sagen, wenn
ich auch selbst nicht recht begreife, was
sich zugetragen hat. Ich habe sie getödtet,
weil mir schien, dass sie mich zurück-
stieß Dabei hatte ich sie aber nöthig
Sie ist doch nicht dein Eigenthum! —
sagte man ihm.
Benützt ihr etwa nur euer Eigenthum?
Ich sehe, dass jeder Mensch nur seine
Rede, seine Arme und Beine zu eigen
hat — er besitzt aber Thiere, Weiber,
Land und vieles andere
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