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unter die Gruppe: Die Liebe. Ich möchte
Rodin zuliebe Platos Phädrus umschreiben.
Man sucht nicht nach den Augen
dieser Menschen. Sie sind blind wie der
Stein, aus dem sie wurden, und blind wie
die Musik, in die sie sich gleichsam
lösen. Nur die Torsos haben Augen und
die Büsten. Rodins Büsten sind noth-
wendig Torsos und nicht eine Convenienz,
wie gewöhnlich. Aber diese Augen sehen
uns nicht an, sie fixieren nichts, sie
schauen aus, ihr ganzer Körper ist dann
gleichsam nur Auge und schaut aus nach
dem Leben, nach der Vollendung, nach
der Liebe, nach dem Unmöglichen. Nie
vor Rodin haben die bloßen Augenhöhlen
solches Leben gehabt. Sie sind gleich-
sam nur da, damit wir mit unseren eigenen
Augen durch sie schauen, und unser
Wissen ihr Sehnen ergänze. Die Haltung
des Körpers hat dann etwas Unbestimmtes,
Outriertes, etwas Augenblickliches, Ab-
sichtliches, Posenhaftes quand même.
Ich erinnere mich da des Selbstporträts
des alten Rembrandt, das im Louvre hängt.
Die Augen haben nicht mehr die sichere
Heiterkeit der Jugend, die jeden Gegen-
stand gleichsam zum Bilde macht und in
einen Rahmen bringt, sie sehen hier durch
die Dinge hindurch und hinweg nach Dem,
was kein Rahmen mehr zu fassen vermag;
der Kopf und Oberkörper haben etwas
Haltloses, nur noch mehr Zufälliges, aus
dem Rahmen Gefallenes. Es ist dieselbe
Weisheit hier wie in vielen Sculpturen
Rodins, nur kann man zu ihr auf ver-
schiedenen Wegen kommen.
Damit ich es nicht vergesse: einmal
hat Rodin doch einem Kopfe Augen ge-
geben. Es ist ein Mädchenkopf, der auf
einem Block ruht, d. h. aus dem Steine
bis gerade noch zum Kinn gewachsen
ist. Man muss sich bücken, um die Augen,
die nach abwärts blicken, zu sehen. Sie
sind wie zwei kleine Blumen, die ihren
Kelch zur Erde neigen. Rodin nennt ihn
La Pensée (den Gedanken). Es ist das
Zarteste, was er geschaffen, so zart, dass
es sich am liebsten gleich wieder ver-
bergen möchte, als wüsste es im vor-
hinein, dass es allein bleiben werde, wie
nur reine Gedanken allein sein können
und müssen. — Zwei Tugenden, die sich
gegenseitig durchdringen, sehe ich in
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diesen Menschen, die Tugend des Stoffes,
aus dem sie wurden, und die Tugend
des Schöpfers, an dem sie wurden. Reiner
als Rodin hat niemand das Wesen der
Kunst bewahrt. Ich möchte sagen, der
Begriff der Kunst ist hier nackt geworden,
so durchsichtig geworden, dass wir ihn
bloß abzulesen haben. Zwei Tugenden
also wirken in diesen Wesen: Die
Tugend des Steines ist die Leidenschaft,
die sie blind schlägt; die Tugend ihres
Schöpfers ist das Ideal, die Geberden
nach dem Unmöglichen. Ihre Scham ist
ihr Stil, ihre Einsamkeit ihre Einheit,
ihre Schönheit ist — wie soll ich sagen
— etwas so Ewig-Augenblickliches wie
nur die Musik. Zwei ewige Gegensätze
sind es, die augenblicklich sich hier finden
und zusammenschlagen, zwei ewige
Wünsche, die, beide das Unmögliche,
das Absolute wollend, sich zufällig um-
armen und ohne Wissen und gegen
Willen in Formen aufklingen. Es ist wie
im Vorspiel zu »Tristan und Isolde«.
Rodin ist wie Wagner, Whistler und
Swinburne ein Dialectiker und ein Musiker;
sein Intellect ist gleich seiner Schöpfer-
kraft. Er ist müde und Revolutionär,
pervers und natürlich, der letzte einer
langen Vergangenheit und der erste einer
kommenden Kunst. Er ist Dichter, Maler,
Radierer, wenn man will, in seinen Effecten
und treu bis zur Ausschließlichkeit dem
Material, das er zwingt. Sein ganzes,
immer neues, immer überraschendes Werk
ist nur eine unendliche Variation des
ewigen Themas, man nenne es nun:
Natur und Geist, Leben und Dichter, Liebe
und Tod. Rodin ist nie concreter, sinn-
licher, als wo er seinem Werke einen
ganz abstracten Titel gibt. Evocationen
könnte er es nennen oder Illusionen, und
er würde das Wort haben, welches das
Wesen seines Werkes am natürlichsten
beschreibt. Er ist ein Zauberer und ein
Weiser zugleich, und darum sind seine
Werke ebenso Evocationen wie Illusionen,
und seine Porträts haben etwas von Larven,
und die Kleider sind geworfen, als gienge
es auf eine Maskerade.
Man sagt auch, Rodin sei ein Symbolist.
Gewiss, er ist es dort, wo er am sinn-
lichsten ist. Symbole sind nur intensive
Natur, und niemand neben Rodin weiß
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