Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 196

Zwei Zeichnungen Salome (Beardsley, AubreyWilde, Oscar)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 196

Text

WILDE: SALOME.

bereitet, und ihre Missethaten bereue. Und wenn sie gleich nicht bereut, sondern
verstockt bleibt in ihren Sündengreueln, heißt sie herkommen, denn die Geißel des
Herrn ist in seiner Hand.

SALOME: O, er ist schrecklich, er ist wirklich schrecklich!

DER JUNGE SYRIER: Bleibt nicht hier, Prinzessin, ich bitte Euch.

SALOME: Seine Augen sind von allem das Schrecklichste. Sie sind, als ob
schwarze Löcher mit Fackeln in einen tyrischen Teppich gebrannt worden wären.
Sie sind wie die schwarzen Höhlen, wo die Drachen leben, die schwarzen Höhlen
Egyptens, wo die Drachen hausen. Sie sind wie schwarze Seen, aus denen irres
Mondlicht flackert Glaubt ihr, dass er noch einmal sprechen wird?

DER JUNGE SYRIER: Bleibt nicht hier, Prinzessin. Ich bitte inständig, bleibt
nicht hier.

SALOME: Wie abgezehrt er ist! Er ist wie eine dünne Elfenbeinfigur. Er ist
wie ein Bildnis aus Silber. Gewiss ist er keusch wie der Mond. Er ist wie ein
Mondenstrahl, wie ein Silberschaft. Sein Fleisch muss sehr kühl sein, kühl wie Elfen-
bein Ich möchte ihn näher besehen.

DER JUNGE SYRIER: Nein, nein, Prinzessin.

SALOME: Ich muss ihn näher besehen.

DER JUNGE SYRIER: Prinzessin! Prinzessin!

JOCHANAAN: Wer ist dies Weib, das mich ansieht? Ich will ihre Augen nicht
auf mir haben. Warum sieht sie mich an mit ihren Goldaugen unter den gleißenden
Lidern? Ich weiß nicht, wer sie ist. Ich will nicht wissen, wer sie ist. Heißt sie
gehen. Zu ihr will ich nicht sprechen.

SALOME: Ich bin Salome, die Tochter der Herodias, Prinzessin von Judäa.

JOCHANAAN: Zurück, Tochter Babylons! Komm’ dem Erwählten des Herrn
nicht nahe! Deine Mutter hat die Erde erfüllt mit dem Wein ihrer Lüste, und das
Unmaß ihrer Sünden schreit zu Gott.

SALOME: Sprich mehr, Jochanaan. Deine Stimme ist wie Musik in meinen
Ohren.

DER JUNGE SYRIER: Prinzessin! Prinzessin! Prinzessin!

SALOME: Sprich mehr! Sprich mehr, Jochanaan, und sage mir, was ich
thun soll.

JOCHANAAN: Tochter Sodoms, komm’ mir nicht nahe! Vielmehr bedecke dein
Gesicht mit einem Schleier, streue Asche auf deinen Kopf und mach’ dich auf
in die Wüste und suche des Menschen Sohn.

SALOME: Wer ist das, des Menschen Sohn? Ist er so schön wie du, Jochanaan?

JOCHANAAN: Weiche von mir! Ich höre die Flügel des Todesengels im
Palaste rauschen.

DER JUNGE SYRIER: Prinzessin, ich flehe, geht hinein.

JOCHANAAN: Engel des Herrn, meines Gottes, was thust du hier mit deinem
Schwerte? Wen suchst du in diesem Palaste? Der Tag Dessen, der im Silbermantel
sterben soll, ist noch nicht gekommen.

SALOME: Jochanaan!

JOCHANAAN: Wer spricht hier?

SALOME: Ich bin verliebt in deinen Leib, Jochanaan! Dein Leib ist weiß
wie die Lilien auf einem Felde, das nie die Sichel berührt hat. Dein Leib ist weiß
wie der Schnee, der auf den Bergen Judäas liegt und in die Thäler herabkommt.
Die Rosen im Garten der Königin von Arabien sind nicht so weiß wie dein Leib,
nicht die Rosen im Garten der Königin von Arabien, im Gewürzgarten der Königin

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 196, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-12_n0196.html)