Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 197
Text
von Arabien, nicht die Füße der Dämmerung, wenn sie auf die Blätter herabsteigt,
nicht die Brüste des Mondes, wenn er auf dem Meere liegt Nichts in der Welt
ist so weiß wie dein Leib. Lass’ mich ihn berühren, deinen Leib!
JOCHANAAN: Zurück, Tochter Babylons! Durch das Weib kam das Übel in
die Welt. Sprich nicht zu mir. Ich will dich nicht anhören. Ich höre nur auf die
Stimme des Herrn, meines Gottes.
SALOME: Dein Leib ist grauenvoll. Er ist wie der Leib eines Aussätzigen.
Er ist wie eine getünchte Wand, wo Nattern gekrochen sind; wie eine getünchte
Wand, wo die Scorpione ihr Nest gebaut haben. Er ist wie ein übertünchtes Grab,
voll widerlicher Dinge. Er ist grässlich, dein Leib ist grässlich. In dein Haar bin
ich
verliebt, Jochanaan. Dein Haar ist wie Weintrauben, wie Büschel schwarzer Trauben,
die an den Weinstöcken Edoms hängen im Lande der Edomiter. Dein Haar ist wie
die Cedern vom Libanon, wie die großen Cedern vom Libanon, die den Löwen und
Räubern ihren Schatten spenden, wenn sie sich am Tage verbergen wollen. Die langen
schwarzen Nächte, wenn der Mond sein Gesicht verbirgt, wenn den Sternen bange
ist, sind nicht so schwarz wie dein Haar. Das Schweigen, das im Walde wohnt, ist
nicht so schwarz. Nichts in der Welt ist so schwarz wie dein Haar Lass’ mich
es berühren, dein Haar!
JOCHANAAN: Zurück, Tochter Sodoms! Berühre mich nicht. Entweihe nicht
den Tempel des Herrn, meines Gottes!
SALOME: Dein Haar ist grässlich. Es starrt von Staub und Unrath. Es ist wie
eine Dornenkrone, auf deinen Kopf gesetzt. Es ist wie ein Schlangenknoten, um deinen
Hals gewickelt. Ich liebe dein Haar nicht Deinen Mund begehre ich, Jochanaan.
Dein Mund ist wie ein Scharlachband an einem Thurm von Elfenbein. Er ist wie ein
Granatapfel, von einem Elfenbeinmesser zertheilt. Die Granatapfelblüten, die in den
Gärten von Tyrus wachsen, die glühender sind als Rosen, sind nicht so roth. Die
rothen Fanfaren der Trompeten, die das Nahen von Königen künden und vor denen
der Feind erzittert, sind nicht so roth. Dein Mund ist röther als die Füße der Männer,
die den Wein in der Kelter stampfen. Er ist röther als die Füße der Tauben, die
in den Tempeln wohnen und von den Priestern ihr Futter bekommen. Er ist röther
als die Füße des Mannes, der aus dem Walde kommt, wo er einen Löwen erschlagen
und goldfarbige Tiger erblickt hat. Dein Mund ist wie ein Korallenzweig, den die
Fischer in der Dämmerung des Meeres gefunden haben, wie die Koralle, die sie für
Könige bewahren! Er ist wie der Purpur, den die Moabiter in den Gruben von
Moab finden, wie der Purpur, den die Könige von ihnen haben. Er ist wie der Bogen
des Perserkönigs, der mit Purpur bemalt und mit Korallen besetzt ist. Nichts in der
Welt ist so roth wie dein Mund Lass’ mich ihn küssen, deinen Mund!
JOCHANAAN: Niemals, Tochter Babylons! Tochter Sodoms! Niemals!
SALOME: Ich will deinen Mund küssen, Jochanaan. Ich will deinen Mund küssen.
DER JUNGE SYRIER: Prinzessin, Prinzessin, die wie ein Garten von Myrrhen
ist, die die Taube aller Tauben ist, sieh’ diesen Mann nicht an, sieh’ ihn nicht an.
Sprich nicht solche Worte zu ihm. Ich kann es nicht ertragen Prinzessin, sprich
nicht solche Dinge.
SALOME: Ich will deinen Mund küssen, Jochanaan.
DER JUNGE SYRIER: Ah! (Er tödtet sich und fällt zwischen Salome und Jochanaan.)
DER PAGE DER HERODIAS: Der junge Syrier hat sich entleibt. Der junge
Hauptmann hat sich entleibt. Der mein Freund war, hat sich entleibt. Ich habe ihm
eine kleine Nardenbüchse und silberne Ohrringe geschenkt, und nun hat er sich ge-
tödtet. Ach, sagte er nicht, dass Schlimmes geschehen würde? Ich sagte es auch, und
es ist eingetroffen. Wohl wusste ich, dass der Mond etwas Todtes suchte, aber ich
wusste nicht, dass er es war, den er suchte. Ach, warum barg ich ihn nicht vor dem
Mond! Hätte ich ihn in einer Höhle verborgen, dann hätte er ihn nicht gesehen.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 197, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-12_n0197.html)