Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 199

Zwei Zeichnungen Salome (Beardsley, AubreyWilde, Oscar)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 199

Text

WILDE: SALOME.

HERODES: Doch; die Luft ist sehr süß. Komm’, Herodias, unsere Gäste warten
auf uns. Ah! ich bin ausgeglitten! Ich bin in Blut getreten! Das ist ein böses Zeichen,
das ist ein sehr böses Zeichen. Warum ist hier Blut? Und dieser Todte? Was
soll dieser Todte hier? Denkt ihr, ich sei wie der König von Egypten, der seinen
Gästen kein Fest gibt, ohne ihnen einen Leichnam zu zeigen? Wer ist der Todte?
Ich will ihn nicht sehen.

ERSTER SOLDAT: Es ist unser Hauptmann, Herr. Es ist der junge Syrier,
den Ihr erst vor drei Tagen zum Hauptmann der Leibwache ernannt habt.

HERODES: Ich erließ keinen Befehl, dass er getödtet werde.

ERSTER SOLDAT: Er hat sich selbst getödtet, Herr.

HERODES: Aus welchem Grund? Ich hatte ihn zum Hauptmann meiner Leib-
wache ernannt!

ZWEITER SOLDAT: Wir wissen es nicht, Herr. Aber mit eigener Hand
hat er sich getödtet.

HERODES: Das scheint mir seltsam. Ich hätte gedacht, nur die römischen
Philosophen tödten sich selbst. Nicht wahr, Tigellinus, die Philosophen in Rom
tödten sich selbst?

TIGELLINUS: Es gibt dort einige, die sich selbst tödten. Es sind die Stoiker.
Die Stoiker sind Leute ohne Bildung. Es sind lächerliche Leute. Ich für meinen
Theil halte sie für ganz und gar lächerlich.

HERODES: Ich auch. Es ist lächerlich, sich selbst zu tödten.

TIGELLINUS: Alle Welt in Rom lacht über sie. Der Kaiser hat eine Satire
gegen sie geschrieben. Man trägt sie überall vor.

HERODES: Ah! Er hat eine Satire gegen sie geschrieben? Cäsar ist erstaunlich.
Er kann alles Es ist seltsam, dass der junge Syrier sich getödtet hat. Es thut
mir leid, dass er sich getödtet hat. Es thut mir sehr leid. Denn er war schön zu
sehen. Er war sehr schön. Er hatte so schmachtende Augen. Ich erinnere mich, ich
sah seine schmachtenden Augen, wenn er Salome ansah. Wahrhaftig, ich dachte:
er sieht sie zuviel an.

HERODIAS: Es gibt noch andere, die sie zuviel ansehen.

HERODES: Sein Vater war ein König. Ich vertrieb ihn aus seinem Reiche.
Und seine Mutter, die eine Königin war, machtest du zur Sclavin, Herodias. Er
war also sozusagen mein Gast, und darum ernannte ich ihn zu meinem Haupt-
mann. Es thut mir leid, dass er todt ist. He! Warum habt ihr den Leichnam hier
liegen lassen? Er muss anderswohin gebracht werden. Ich will ihn nicht sehen —
Fort mit ihm! (Sie tragen den Leichnam weg.) Es ist kalt hier. Es weht ein Wind.
Weht nicht ein Wind?

HERODIAS: Nein, es weht kein Wind.

HERODES: Ich sage euch, es weht ein Wind Und in der Luft höre
ich etwas wie das Rauschen von Flügeln, wie das Rauschen von mächtigen Flügeln.
Hört ihr es nicht?

HERODIAS: Ich höre nichts.

HERODES: Jetzt höre ich es nicht mehr. Aber ich habe es gehört. Es war
das Wehen des Windes. Es ist vorüber. Horch, jetzt höre ich es wieder. Hört ihr
es nicht? Es ist genau wie ein Rauschen von Flügeln.

HERODIAS: Ich sage dir, es ist nichts daran. Du bist krank. Wir wollen
hineingehen.

HERODES: Ich bin nicht krank. Aber deine Tochter ist krank zu Tode.
Niemals habe ich sie so blass gesehen.

HERODIAS: Ich habe dir gesagt, du sollst sie nicht ansehen.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 12, S. 199, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-12_n0199.html)