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und wenn sie auch in den Gewohnheiten
jener heiteren Glücklichen nicht begrün-
det war, so können wir ihre Spur doch
in den Gedanken ihrer philosophischen
Verkünder finden; Aristoteles z. B.
fragt sich zweimal, ob »die Liebe aus-
schließlich der Wunsch nach körper-
licher Zusammengehörigkeit sei«, und
antwortet zweimal: nein! Er findet
auch in der Geschlechtsliebe Züge, die
nicht im Wunsch nach körperlicher Be-
rührung gipfeln, woraus er schließt, dass
»nicht immer jener, der am meisten liebt,
diese Berührung ersehnt«. Und wenn wir
auch annehmen, dass auch er nicht
das Weib im Auge hatte, als er dies
schrieb, so muss man doch zugeben, dass
es vor allem darauf ankommt, eine gegebene
Theorie zu festigen; die Anwendungen
und Folgen entgehen dem Finder selbst.
Lassen wir daher die Benennung »Plato-
nische Liebe« gelten, die wenigstens den
Vortheil hat, von allen mehr oder weniger
verstanden zu werden, und untersuchen wir
nun ihre Stellung in der heutigen Gesellschaft.
Wenn wir uns anschicken, den Klang jener
beiden Worte zwischen den Wänden eines
Salons oder Theaters aufzufangen, wenn wir
noch den Wiederhall der Gespräche von der
Gasse, den Clubs und den Kaffeehäusern
hinzufügen, so wird ihm nicht selten der
Sinn einer gewissen Lächerlichkeit bei-
gemengt sein, der sich selbst Leute,
die ernst darüber reden könnten, nicht zu
entziehen imstande sind, und man sagt:
»Platonischer Liebhaber«, wie man sagen
würde: »Lahmer Hund« und erweckt
ein gutmüthiges, fast spöttisches Gefühl
des Mitleids, dem nicht selten eine gewisse
unterdrückte Bosheit innewohnt. Doch das
hat nichts zu sagen, denn »man« hat auch
über ernstere Dinge gelacht und wird noch
über sie lachen.
Was mich wundert, ist, dass die modernen
Abhandlungen über das erotische Problem
ihrer nur vorübergehend Erwähnung thun,
und dies, ohne die Ungläubigkeit des Autors
hinsichtlich dieser besonderen Form der
Liebe zu verhehlen, die der Aufmerksamkeit
nicht für würdig befunden wird und doch
ein so lebendiger Theil unseres Wesens
ist, vielleicht sein wärmster, jedenfalls sein
geheimster und verschlossenster. — Ge-
wiss wird, wenn man zwischen elf und
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zwölf Uhr nachts um einen Tisch herum
von Liebe spricht, nie von platonischer
Liebe die Rede sein, und wer eine Gesell-
schaft heiter erhalten, sie reizen und an-
regen, ihre Bewunderung, Neugier, Eifer-
sucht, Missgunst erwecken will oder sich
auf dem Hengste der Eroberungen tummelt,
der wird sich wohl hüten — wenn er auch
die platonische Liebe kennt und weiß, was
sie bedeutet — hier von ihr zu sprechen.
Die Sache an sich interessiert niemanden,
und der Einzige, den sie interessiert oder
interessiert hat, verbirgt sie schamhaft aus
mannigfachen edlen und schönen Gründen,
unter denen jedoch der weniger edle und
weniger schöne: Eitelkeit sein kann,
die nicht ihre Rechnung findet. Jedenfalls
sieht man die platonische Liebe nicht,
man stößt nicht mit dem Ellbogen auf sie,
sie macht nicht von sich reden, erhebt
nicht ihre Flagge, und deshalb scheint es
vielen, dass sie nur in der Phantasie ro-
mantischer Köpfe existiere; jenen, welche
Psychologien über die Liebe schreiben,
erscheint es als Fachsimpelei, sich bei
ihr aufzuhalten; sie vergessen, dass die
Liebe, der sie den Vorzug geben, einem
jeden zugänglich ist und jene größte An-
ziehungskraft vermissen lässt, die gerade
der Psychologe dort finden sollte, wohin
nicht alle blicken oder zu blicken ver-
stehen.
In dem bereits erwähnten Vorwort
zum »Convito« sagt Bonghi: »Der ganze
Mensch liebt und je nach dem Gegen-
stand der Liebe, liebt er vorherrschend
mit einem Theil seines Ich. Wer mehr
liebt, ist mehr wert; in der Liebesfähigkeit
liegt die Wurzel jedweden Wertes.« Dies
sind tiefsinnige Worte, die der moderne
Mensch in dem Maße auf sich beziehen
darf, als er die Arten der Liebe vermehrt
hat, die sich der armseligen, ursprünglichen
Liebe des Urmenschen zugesellen lassen.
Sehen wir jedoch zu, auf welcher
langen Stufenleiter die platonische Liebe
sich entwickeln kann und wie sie nicht
bloß auf die dichterische Ausgestaltung
gestützt ist, sondern von der gebietendsten
Wirklichkeit hervorgetrieben und gehegt
wird.
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