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nicht über sich gewinnen kann, sich zu
den Auserwählten zu zählen?
Und das Fehlen einer derartigen Dog-
matik will man dem Buddhismus als einen
Mangel oder gar als ein Unrecht zur Last
legen? Sollte es nicht vielmehr »ein
großes und schweres Unrecht« gegen Kant
und die Wissenschaft sein, wenn Leute,
die auf der Höhe der Bildung ihrer Zeit
stehen wollen, das Wort »Gott« immer
wieder auf eine Weise in den Mund
nehmen, welche nach der zermalmenden
Arbeit Kants durchaus unzulässig ist. Und
wenn Kant, um die Schroffheit seines
Ergebnisses zu mildern, erklärt hat, dass
sich die Nicht-Existenz eines persönlichen
Gottes auch nicht beweisen lasse, so hat
Schopenhauer diesen Gegenbeweis ganz er-
folgreich erbracht, wenn er ausführt, dass
sich das »rohe, crasse, abscheuliche Juden-
dogma« des Gott-Schöpfers weder mit
der traurigen Beschaffenheit der Welt,
noch mit der Moral, noch mit unserer
Fortdauer nach dem Tode vereinigen lässt.
Von der wahren Größe des dem
Buddhismus vorgeworfenen Mangels kann
man sich namentlich dann einen richtigen
Begriff machen, wenn man erwägt, wie
sehr die moralische Kraft durch den christ-
lichen Gottesbegriff geschwächt werden
muss. Da sagt der Eine, dass er als ein
von Gott geschaffenes Wesen keinen freien
Willen und deshalb auch keine Verant-
wortlichkeit habe. Ein anderer meint, dass
durch das Kreuzesopfer Gottes alle Sünden
gesühnt seien, so dass es nicht der guten
Werke, sondern nur des Glaubens an
dieses merkwürdige, vom Gläubiger für
den Schuldner (!) gebrachte Sühnopfer
bedürfe. Ein Dritter wiederum hält sich
an die Lehre von der Gnadenwahl, nach
welcher die wenigen Auserwählten von
Gott vorherbestimmt sind, so dass selbst
durch die höchsten moralischen Anstren-
gungen nichts erzwungen werden kann.
Ein Vierter sagt sich: »Gott wird genau
wissen, warum er diesen und jenen Leiden
und Elend schickt, welche zu mildern
durchaus nicht meine Sache ist.« Und
die große Mehrzahl lebt mit der Vor-
stellung von Gottes schließlicher Barm-
herzigkeit in den Tag hinein, ohne sich
um das Schicksal ihrer Nebenmenschen
viel zu kümmern.
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Dank der Unhaltbarkeit der christ-
lichen Dogmatik ist es dahin gekommen,
dass die Religion weit entfernt ist, das
Centrum des Culturlebens zu bilden,
wie es bei wahrhaftiger Religiosität sein
müsste und bei allen alten Culturvölkern,
den Ägyptern, Babyloniern, Indiern,
Griechen, Römern, Arabern, der Fall war.
Ja, E. v. Hartmann hat nicht mit Unrecht
sogar einmal den folgenden Ausspruch
gethan: »Wir sind bereits so sehr in
weltlichen Interessen versunken, dass wir
gar keine Ahnung mehr haben, was es
heißt, religiös und christlich zu sein.«
Selbst Theologen geben zu, dass das reli-
giöse Bewusstsein im allgemeinen bei den
Bekennern keiner anderen Religion so
gering ist, wie bei den Christen.
Wie anders steht dem Wirrwarr der
christlichen Lehren gegenüber die klare
buddhistische Dogmatik da! Diese besteht
im wesentlichen nur aus den Lehren vom
Karma und von der Wiedergeburt. Das
Ziel, nach dem der Mensch zu streben
hat, ist: sein Karma — man hat diesen
Begriff mit »moralische Wirksamkeit« zu
übersetzen versucht — so zu verbessern,
dass er endlich nicht mehr wiedergeboren
wird und in Nirwana, den Zustand der
Erlösung, eingeht. Wie herrlich ist, im
Vergleich mit der christlichen Lehre von
den wenigen Auserwählten und nur durch
den Tod Gottes Erlösten, der Gedanke,
dass kein Mensch an seinem Heile zu
verzweifeln braucht, dass vielmehr jeder
durch Verbesserung seines Karma aus
eigener Macht die endliche Erlösung er-
ringen kann und wird! Und in der ur-
alten, die ewige Gerechtigkeit wahrenden
und deshalb so einleuchtenden Lehre von
der Wiedergeburt besitzt der Buddhismus
einen außerordentlich wertvollen Bestand-
theil, welcher das moralische Handeln
des Menschen in ungleich wirksamerer
Weise zu bethätigen vermag als die
christliche Dogmatik.
Wenn man trotzdem glaubt, auch
die buddhistischen »Heiden« mit christ-
lichen Lehren beglücken zu müssen, so
muss dieses Bestreben geradezu als arro-
gant und absurd bezeichnet werden. Dies
drückt der große Religionsforscher Max
Müller sehr milde aus, wenn er in seiner
Lebensbeschreibung des in unseren Tagen
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