Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 14, S. 245

Das Mysterium der Gerechtigkeit Der theosophische Congress zu Paris (Maeterlinck, MauriceArjuna van Jostenoode, Harald)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 14, S. 245

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ARJUNA: DER THEOSOPHISCHE CONGRESS ZU PARIS.

bewundernswerter Grund die Erfüllung
einer Pflicht verbietet, sind selten, und im
allgemeinen besteht zwischen Ursache und
Wirkung, zwischen dem Gebot des noth-
wendigen Gesetzes und dem Ergebnis der

Anstrengung dessen, der ihm gehorcht hat,
dank unserer geistigen Elasticität ein hin-
reichend festes Verhältnis, um den Ge-
danken der Gerechtigkeit der Dinge in
uns aufrechtzuerhalten

Die Fortsetzung im nächsten Hefte.

DER THEOSOPHISCHE CONGRESS ZU PARIS.
Von Dr. HARALD ARJUNA VAN JOSTENOODE (Paris).

Soeben hat eine der merkwürdigsten
Veranstaltungen aller Zeiten stattgefunden.
Die im Jahre 1875 zu New-York gestiftete
Theosophische Gesellschaft hat bei Ge-
legenheit der Jahrhundertwende und in
Erinnerung an ihr fünfundzwanzigjähriges
Jubiläum einen Congress in der inter-
nationalen Ausstellungsstadt Paris abge-
halten. — Auf dieser Tagung konnte man
sich überzeugen, welch große Fortschritte
die Theosophische Gesellschaft seit ihrem
Bestehen gemacht hat. Der ehrwürdige
Präsident auf Lebenszeit, Colonel Olcott,
hatte vorher eine Rundreise durch ganz
Europa gemacht und die verschiedenen
Logen besucht. Unter den vertretenen
Ländern glänzte nur Deutschland durch
seine Abwesenheit. Der deutsche Particu-
larismus hat es wieder einmal vorgezogen,
eigene Wege zu gehen und der allge-
meinen Theosophischen Gesellschaft eine
besondere deutsche entgegenzustellen, die
nicht einmal einen Repräsentanten nach
Paris sandte, um ihre Sympathie zu be-
zeugen. Das kleine Holland dagegen war
durch drei Mitglieder vertreten.

Einen besonderen Glanz erhielt der
Congress durch die Gegenwart der Mrs.
Annie Besant, die zu wiederholtenmalen
das Wort ergriff, um in schöner franzö-
sischer Sprache eindringlich die Lehren
der Theosophie zu predigen. Sie hat die
Wahrheit innerlich erlebt und ihre Worte

verfehlen daher nie den Eindruck. Jeder
kennt sie als eine durch und durch ehr-
liche und hochstehende Person, die zeit-
lebens für das Gute gekämpft. Orthodox
erzogen, ward sie Materialistin, wurde
dann von H. P. Blavatsky für die Theo-
sophie gewonnen und ist nun seit deren
Tode die eigentliche Seele der ganzen
Bewegung
. Beständig auf Reisen, be-
sonders in Indien, übt sie unermüdlich ihr
Apostelamt aus. So stelle ich mir die
ersten Jünger Jesu vor! So wie sie mag
der heilige Paulus gesprochen haben! Von
solchen Persönlichkeiten gilt das Wort:
Ihre Rede war gewaltig und nicht wie
die der Schriftgelehrten. Gewaltig ist denn
auch der Eindruck.*

Ich will nun versuchen, den Lesern
der »Wr. R.« Einiges von Dem wiederzu-
geben, was Frau Besant gesprochen hat.
Ihre Reden waren jedenfalls das geistig
Bedeutendste, das zur Zeit der Weltaus-
stellung in Paris gehört worden ist, und ihre
Worte müssen einen mächtigen Wieder-
hall bei allen finden, die nach Wahrheit
dürsten. Die Wahrheit spricht für sich
selber, sie macht frei. Solch ein Gefühl
der Freiheit empfindet jeder, der diese
außerordentliche Frau gehört hat. Mir
wurde die Ehre zutheil, persönlich mit
ihr in ihrer Wohnung sprechen zu dürfen,
und so habe ich den Eindruck einer
wahrhaft großen Persönlichkeit mit

* Vgl. S. 254 dieses Heftes.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 14, S. 245, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-14_n0245.html)