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deren Porträt wir in diesem Hefte publicieren,
wurde im Jahre 1847 zu London geboren. Ihre
Mutter stammte aus Irland. Väterlicherseits ist
sie mit der Familie des Lord-Kanzlers Hatherley
aus Devonshire verwandt. Fünf Jahre alt, verlor
sie ihren Vater und kam nach Harrow, wo
ihre Mutter ein Knabenpensionat begründete.
Von Kindheit an streng religiös erzogen, ver-
mählte sich Annie 1867 mit Rev. Frank Besant,
einem jungen Geistlichen, der damals als
Lehrer in Cheltenham thätig war und bald
darauf Pfarrer zu Sibsey in Lincoln wurde.
Die starr conservativen Anschauungen des
Gatten, seine brutale Gesinnung, namentlich
aber religiöse Meinungsdifferenzen der schärfsten
Art führten schon nach kurzer Zeit (1873) zur
Scheidung. Dem politischen Radicalismus in
England und insbesondere der irischen Unab-
hängigkeitsbewegung seit langem zugethan,
wandte sich Annie nun vollends dem Socialismus
zu. Nach einem Jahre der größten Entbehrungen
— hungernd hielt sie sich mit ihrer kleinen
Tochter oft tagelang im Britischen Museum
auf — fand sie endlich (1874) in der Redaction
des »National Reformer« (Freidenker-Blatt) ent-
sprechenden Erwerb und wurde bald durch ihren
ungewöhnlichen Geist und ihr ungewöhnliches
Temperament als Schriftstellerin und Rednerin
(Regelmäßige Vorträge in der Freidenker-Gesell-
schaft »Secular Union«, dann in der »Law and
Liberty League«) in den weitesten Kreisen be-
kannt. Eine Zeitlang trat sie für den Neo-Malthu-
sianismus, für die Rede- und Pressfreiheit in
England, für ethische, pädagogische, socialpoli-
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tische etc. Reformen ein, gab später mit W. T.
Stead (dem bekannten Leiter der »Review of
Reviews«) das Fife-Penny=Blatt »Link« heraus, in
dem sie sozialistische Principien leidenschaftlich
verfocht, und lernte schließlich (durch Stead)
Mme. Blavatsky und deren Werke (»Secret
Doctrine« etc. — Vgl. »W. R.«, IV, 10) schätzen.
Aus der »Materialistin« ward (1890) eine Spiri-
tualistin strengster Observanz; als Mitarbeiterin
der Blavatsky wirkte sie nun in zahlreichen
Schriften und Vorträgen, die eine erstaunliche
Verbreitung fanden, für die Lehren der Theo-
sophie und wurde nach dem Tode ihrer
Meisterin (1891) an die Spitze der Theoso-
phischen Gesellschaft berufen. Mit G. R. S.
Mead gibt sie seit Jahren die Monatsschrift
»Lucifer« in London heraus. Ihre Reise nach
Indien (1894, mit Oberst Olcott) gestaltete sich
zu einem Triumphzuge. Man verehrt heute in
Annie Besant das Haupt der theosophischen
Bewegung.
Aus der großen Reihe ihrer Schriften seien
die folgenden hervorgehoben: »Der Tod —
und was dann?«, »Die sieben Principien
oder Grundtheile des Menschen«,
»Reïncarnation oder
Wiederverkörper-
ungslehre«, »Die Zukunft, die unser
wartet«, »Der Mensch und seine Körper«,
»Die Geburt und die Entwicklung der
Seele«. Die genannten Werke sind auch
in deutscher Sprache (zum Theil bei Wilhelm
Friedrich, Leipzig) erschienen. — Man vgl.
im übrigen den Aufsatz Thomassins über
Annie Besant in IV, 3 der »W. R.«
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