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ihr beistehen, ihren reinen Traum in den
Höhen zu erhalten. Dies ist ein, wenn auch
unvollkommener, so doch offenkundiger
Beweis für die Existenz einer Liebe, die
anders geartet ist als der Trieb thieri-
scher Zeugung.
Der heidnische Mythos, der die Noth-
wendigkeit empfand, eine zweifache Venus
zu schaffen: Aphrodite und Psyche;
Sokrates, Plato, Aristoteles, die sich
dem beschränkten Genuss der Umarmung
entzogen und, noch bevor das wunderbare
Licht Christi die Welt erfüllte, eine Liebe
ersehnten, die nichts mit den Sinnen ge-
mein hätte — sie haben schon seit Jahrhun-
derten die Antwort für jene Zweifler vor-
bereitet, die unter Dummköpfen und
Possenreißern fragen, ob die platonische
Liebe möglich sei. Nein, gute Leute,
beruhigt euch: wenn auch die Sache
möglich ist, so ist sie doch durchaus nicht
so leicht, und niemand denkt daran,
euch euern Überschuss zu nehmen. Die
platonische Liebe wird auch weiterhin das
Vorrecht weniger Seelen bleiben, und der
Vortheil, der daraus der Menge werden
kann, wird wohl nur der eines reinigenden
Luftstroms sein, der sich von Zeit zu Zeit
auf die tödtlich verpestete Atmospäre leiten
lässt, in der die Menschen athmen Ernest
Renan sagte, dass man den Leuten,
um von ihnen die einfache Erfüllung ihrer
Pflichten zu erlangen, das Vorbild jener
Seltenen zeigen müsse, die mehr thun,
als die Pflicht verlangt. Warum also zögert
man gerade hier mit der Antwort, so oft
die Einfaltspinsel mit ihren Fragen und
Zweifeln kommen? Die Thatsache, dass es
nur Wenigen gelingt, den Gipfel des Mont
blanc zu erklimmen, schließt eben die
andere Thatsache nicht aus: dass der
Gipfel des Mont blanc besteht!
Bevor ich diese Ausführung schließe,
möchte ich die Aufmerksamkeit des Lesers
gern auf die vielleicht seltsamste geistige
Liebe lenken, die je zwischen Mann und
Mann bestanden hat: auf jene Liebe
nämlich, die das Brüderpaar Goncourt
verband. Ihr Bund hatte die zwei haupt-
sächlichsten charakteristischen Merkmale
der Liebe: Ausschließlichkeit und gegen-
seitige Einwirkung. Sie war ausschließend,
weil jeder der beiden Brüder nur den
Bruder stark und immerwährend liebte.
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Wenn ich sage, dass sie sonst kein anderes
Wesen liebten, stütze ich mich auf ein
von Edmond gemachtes Geständnis: „Une
femme ne nous divisa jamais plus d’une
demi-heure“ — ein köstliches und beredtes
Geständnis! Es beweist uns, dass für ein
Weib keinerlei Platz mehr war in diesen
so empfänglichen und raffinierten Seelen,
die gerade dem Weibe zu Ehren fast
das ganze Gebäude ihres gemeinsamen
Lebenswerkes errichtet haben. Von Sœur
Philomène bis zu René Mauperin, von
Germinie Lacerteux bis zu Madame Ger-
vaisais gab es für sie beide ein ein-
ziges Weib, jenes Wesen nämlich, das
sie schufen, das sie gemeinschaftlich er-
sehnten in den fiebernden Augenblicken
der Begierde und in den müden Stunden
der angsterfüllten Nachtwachen, das sie
gemeinsam umfassten und besaßen, jenes
Wesen, das sie nicht nur nicht trennte,
vielmehr so verband, wie kein anderes
Weib sie je hätte verbinden können. Die
Goncourts, die schon in sich selber voll-
kommen waren, da in Edmond die kräf-
tige Männlichkeit, in Jules die weibliche
Zartheit vorherrschte, brachten aus dem
unsichtbaren und seltsamen Schmelztiegel
ihrer Seelen ein Geschlecht hervor, das
dastehen wird als wunderbares Beispiel
der engsten und unlösbaren Verbindung
zweier Intelligenzen, die durch geistige
Liebe und alles Erhabene und Geheimnis-
volle, das dieses Wort enthält, auf immer-
dar vereinigt waren.
Auch Tolstoi hat uns (in der
»Kreutzersonate«, der man nicht be-
dingungslos beistimmen kann, weil sie die
gesammte Liebe in die platonische ver-
dichten möchte, was eher eine Beschrän-
kung als eine Erhöhung der Liebe be-
deuten würde) die großartige Vision dieses
geistigen Bedürfnisses gebracht, das viele
moderne Seelen quält und in Zukunft viel-
leicht noch viel mehr quälen wird
Geben wir also zu, dass das platonische
Ideal auch heute und namentlich heute
existiert! Wenn es nicht leicht zu er-
reichen, nicht für alle rathsam ist, so ist
es doch eine jener geheimen und gebun-
denen Kräfte, die wir nicht vernach-
lässigen dürfen, sofern wir es verhüten
wollen, dass uns der Materialismus in
seiner Armseligkeit und Kleinlichkeit im
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