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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 16, S. 278

Text

EIN BRIEF.
Von AUGUST STRINDBERG (Lund).*

Lieber — —!

Jetzt erst kann ich den Punkt in Deinem
vorigen Briefe beantworten, der vom Vor-
wort zu den Schriften handelte.

»Ich kann nicht.« Das ist die Antwort
geworden nach langem Überdenken. »Ich
weiß nicht, was ich schreiben soll.« —
Denn mein Leben und meine Schrift-
stellerei sind mir ein Räthsel.

Ich bin jetzt ebenso paralysiert, wie
wenn ich eine Rede halten soll. Viel-
leicht bin ich durch Widersprüche so
compliciert, dass ich die Synthese nicht
finden kann. »Ich weiß absolut nichts, und
kaum das.« Darum lebe ich nur auf Postu-
late. Thue meine Pflicht und bin ruhig;
was doch nicht hindert, dass ich ebenso
fragselig bin, wie früher. Einmal glaubte
ich »mit Standpunkten zu experimentieren«,
fand aber bald, dass ich nicht der Labo-
rator, sondern der Aufwärter war.

In diesen Tagen, von den alten Zweifeln
angefochten, nach der Lectüre Mecblaths,
der behauptet, das Leben sei »eine
Saga, erzählt von einem Irren«, suchte
ich in der Schrift, die man die heilige
nennt, und fand dies (Jesaias, Cap. 49):

»Der Herr hat mich vom Mutterleibe
berufen (wozu?); er hat meines Namens
gedacht, da ich noch im Mutterleibe war.
Und hat meinen Mund gemacht wie ein

scharf Schwert; mit dem Schatten seiner
Hand hat er mich bedeckt; er hat mich
zum blanken Pfeil gemacht und mich in
seinen Köcher gesteckt. Und spricht zu
mir: Du bist mein Diener.

Ich aber dachte: Ich arbeitete eitel,
ich habe eitel und unnützlich meine Kraft
verzehrt«.

Dass ich ein Pfeil gewesen, wenn auch
nicht just so blank, das glaube ich; aber
der Pfeil darf den Schützen nicht nach
dem Ziel fragen, sondern muss gehen,
wohin er gesandt wird. Sollte das meines
Lebens Gleichung sein? Weiß nicht!

Oft habe ich mich als den Propheten
Jonas gedacht, der keine Berufung fühlte
hervorzutreten, sondern sich drückte. Aber
dann musste er hervor, und auf höchsten
Befehl prophezeite er Ninives Untergang.
Aber siehe, da erbarmte sich der Herr
über Ninive, und Jonas blieb unter seinem
Kürbis sitzen als ein desavouierter, saurer,
alter Prophet. — Ist das gleich?

Dies ist alles, was ich sagen kann:
»Ich arbeitete eitel, ich habe eitel und
unnützlich meine Kraft verzehrt«.

Vielleicht ist dies das Vorwort?

Etwas anderes kann ich nicht schreiben.

Der Freund
August Strindberg.

* Diesen Brief hat Strindberg an Gustaf af Geijerstam gerichtet. Die Gesammt-
Ausgabe der Romane und Novellen Strindbergs, die im Gernandtschen Verlage zu Stockholm
erscheint, solhe mit einem Vorwort des Dichters versehen werden; Gustaf af Geijerstam, der
literarische Beirath des Verlages, wandte sich nun an Strindberg und erbat das Vorwort. —
Als Antwort kam dieser Brief.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 16, S. 278, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-16_n0278.html)