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Im Jardin du Palais Royal schwirrt
es und summt es, wie in einem Bienen-
korb. Eine Masse Menschen drängt sich
dort eifrig gesticulierend durcheinander.
Die Damen tragen noch den kurzen Reif-
rock mit den Volants und Schönheits-
pflästerchen auf den Wangen, die Männer
den Dreispitz mit dem kurzen Zopf; aber
dort sieht man schon die hochgebundenen,
fließenden Gewänder, die Taille dicht
unter dem Busen gebunden, und die ganze
Strecke nach abwärts anadyomenenhaft
als ein Linienfluss dem Auge preisgegeben.
Eine neue Mode bricht an. Man gibt
sich, wie man ist. Die Schönheitspfläster-
chen weichen. Die Natur drängt sich
hervor. Rousseau. Man spricht von
Rousseau. So summt es im Garten
durcheinander. Studenten, Literaten, jün-
gere Juristen, Schauspieler, Damen von
allen Sorten, Sorten von allen Damen,
dann: Äpfel- und Süßigkeitenverkäufer,
Bummler, Neugierige, das alles drängt
durcheinander und discutiert, was man
eigentlich am nächsten Tage anfangen
soll. Man spricht von der »Freiheit« und
vom »dritten Stand«. Majestätsbeleidi-
gungen gibt es nicht. Denn der Garten,
der rings von den grandiosen Steinkolossen
des Palais eingesäumt ist, und in dessen
Gallerien die bekannten „2100 filles du Pa-
lais Royal“ lustwandeln, gehört dem Prinzen
von Orleans. Und der Prinz von Orleans
steht, schon aus Abneigung gegen den
König, auf Seite des Volkes. Auch weiß
man sich des Ministers Necker sicher.
Man spricht also von der »Freiheit«, von
la grande France, von der Souveränität
des Volkes, Abschaffung der Privilegien,
vom Contrat social und von der Republik.
Alles gesticuliert und schreit. In der Buch-
handlung von Deseune unter den Galle-
rien kann man vor Menschen kaum bis
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zum Comptoir vorwärtskommen, um seine
Broschüre zu bezahlen. Jede Stunde eine
neue Broschüre, gestern waren es 13,
heute sind es 16, vorige Woche waren
es 92. Unter 20 sprechen 19 von der
»Freiheit«.* Desmoulins hat eine Bro-
schüre geschrieben. Alles kauft die Broschüre
von Camille Desmoulins. Man liest. Man
discutiert. Ein kleines herziges Mädchen,
une mignonne, wird auf den Schultern von
ihrem Papa durch den Garten getragen
und sagt den Spruch her, den man ihr
eingetrichtert hat: »Die Polignac (die
Maitresse des Königs) aus Paris ’naus,
Prinz Condé ebenso, den Grafen d’Ar-
tois ditto, den Prinzen Conti ’s gleiche,
den Abbé Maury im Halseisen auf dem
Pont Neuf ausstellen, die Königin nun,
denken Sie sich nur, was Sie wollen «**
Großer Beifall! Das hübsche Kind! Alles
weint vor Rührung. Die Sache geht vor-
wärts. Die Ideen gewinnen die Köpfe.
Einige jüngere Juristen sprechen ernst-
haft und bringen die gegebenen Anregungen
in feste Organisation. Die Broschüre von
Desmoulins ist vergriffen. Was hat Des-
moulins gesagt? Kein Mensch weiß es.
Wer ist Desmoulins? Er ist ein junger
Jurist. Einige Besoffene kommen herein
und wollen sich an der Debatte bethei-
ligen. Man jagt sie hinaus, denn die Sache
wird ernsthaft. »Ein Weinmagazin wurde
geplündert!« Es ist nicht zu ändern. Ähn-
liche Dinge kommen bei allen Bewegungen
vor. Revolution ist kein Rosenwasser.
Monsieur Schiller
Was ist
dort? Zwei Büsten werden in feierlichem
Umzüge herumgetragen, umringt, accla-
miert, was ist? — Es sind die Büsten
des Herzogs von Orleans und des Finanz-
ministers Necker. Necker ist der Freund
des Volkes Das Gedränge wird
furchtbar. Steht dort Desmoulins auf dem
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