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Steingallerien gebeugt, und warten der
Ceremonien bei Bekränzung der Statue
von Strassburg. Hunderte von hellen,
blauen und gelben Sonnenschirmen der
Damen ragen dort über die Gallerien des
anstoßenden Jardin des Tuileries. Keine
Reden halten! »Pas de discours!« ist
auch zu ihnen schon gedrungen. Sie
wiederholen die Worte unter sich: Es
werden keine Reden gehalten! Bald wissen
die 10—20.000 Menschen, die da droben
stehen und zuschauen, ganz genau, was
die Polizei mit den Demonstrierenden aus-
gemacht hat, denn das Publicum in Paris
ist bei solchen Gelegenheiten immer ein
Ganzes: Was der Eine weiß, weiß der
Andere. Was der Eine missbilligt, missbilligt
der Andere. Die Damen sind es immer,
die in solchen Fällen die Parole ausgeben.
Niemand widerspricht hier den Damen.
Also: Keine Reden halten! Pas de dis-
cours!
Warum nicht? — Die Aus-
stellung! Die Fremden! —Ja so! —
Die fremden Monarchen! — Man will
niemand, der nach Paris kommt, Anlass
zum Missvergnügen geben! — Gewiss!
— Man wäscht nicht seine Wäsche vor
den Fremden! — Eben! Auch
auf der nahen kleinen Place des Pyramides,
wo die hübsche Pucelle von Orleans auf
vergoldetem Pferd sitzt, und wohin die
Demonstrierenden dann ziehen werden,
weiß man schon: Es werden keine Reden
gehalten. Pas de discours, n’est-ce pas,
Messieurs!
Die Glut wird immer furchtbarer auf
dieser asphaltbedeckten Place de la Con-
corde. Es ist, als ob der gigantische Obelisk
von Luxor in der Mitte des Platzes einen
Theil des Wüstenhauches ausstrahlte, den
er während 3000 Jahren in Ober-Egypten
eingeschluckt hat. Noch immer ziehen
neue schwarzgekleidete Massen von Cor-
porationen mit ihren Fahnen und Kränzen
heran. Die Sergents de ville müssen wiederum
Platz machen. »Keine Reden, meine Herren,
nicht wahr? — Pas de discours!« geht es
auch hier wieder von Mund zu Mund.
Die Polizisten machen ein Gesicht, als
wollten sie sagen: die Sache wird heute
nicht gefährlich, denn alle kennen die
Parole. Man gibt sie weiter. Und man
wird sie befolgen Es ist eben
Ausstellung! — Eben! — Und man
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wäscht nicht seine Wäsche vor den
Fremden! Nein, man wäscht nicht vor
den Fremden!
Jetzt kommen die jungen Garden der
militärisch organisierten Gesellschaften und
Vereine von Elsass-Lothringen, es kommen
die Turner, die Saint-Cyriens und Poly-
techniciens marschieren heran Keine
Reden! — Natürlich! — Die halten ja
so wie so keine Reden
Ein kleiner Herr steigt an der Statue
der Stadt Strassburg hinauf — er
wird hinaufgehoben — es wird ein Comité-
Mitglied sein. — Jagt man ihn hinunter?
— Nein, er gehört zu den Leuten; was er
thut, gehört zum Programm; er ist ein
Theil des Programms. — Wird er eine
Rede halten? — Nein, nein! — Man hält
ja überhaupt keine Reden, pas de discours!
— Mischt sich die Polizei ein und ver-
langt sie, dass der Kletterer sofort herunter-
steige? — Nein, nein, das thut sie nicht!
Er ist hinaufgeklettert, und nicht auf einer
Leiter hinaufgestiegen, weil eine Leiter
bei solcher Gelegenheit unpoetisch er-
schienen wäre, weil »Klettern« kühner
und waghalsiger erscheint, und weil ja
zudem Turner da sind
Die Hitze steigert sich ins Unermess-
liche. Irgendein Moloch scheint glühende
Hekatomben von diesen Hunderttausenden
zu verlangen
Man zieht an Schnüren einen Immor-
tellen-Kranz von riesiger Größe, mit
Crêpe umwunden und mit einem Tricoloren-
Band geknüpft, hinauf, und der kleine
Herr oben befestigt den neuen Kranz zu
den Dutzenden und Hunderten, die schon
oben liegen und die, verstaubt und ver-
dorrt, wie lechzend an der Statue sich
emporringen
Alles entblößt das Haupt. Auf dem
ganzen Platz entblößen die Hundert-
tausende das Haupt Keine Reden,
pas de discours, Messieurs! — Die vielen,
vielen Sergeanten nehmen das Käppi ab.
— Keine Reden, Messieurs, n’est-ce pas!
— Die Glut der Sommerhitze eines
14. Juli in Paris fällt, wie plötzlich in
Brand gerathene Baumwolle, auf die
nackten Köpfe dieser enggepferchten
Menschenmassen Und plötzlich
hebt sich aus den Kehlen dieser Ge-
folterten und Gemarterten ein Schrei, wie
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