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dass wir im Kampfe wider Trägheit und
Vorurtheil die Anerkennung jener neuen
und wohlthätigen Phänomene ertrotzt
haben, die man jetzt im Kreise der In-
tellectuellen gemeiniglich, wie etwas Selbst-
verständliches, »moderne Farben- und
Formen-Anschauung« zu nennen pflegt.
Man zerre das Volk, das arbeitende, das
niemals Zeit und immer Hunger hat, nicht
in Museen, Concerte, Docentensäle, aber
man mache die Gasse zu einem stil-
bildenden
Factor, der selbst dem
eiligst Vorüberhastenden ein Körnchen
Schönheit aufnöthigt.
Was hilft es, dass jahrelang in schön-
geistigen Rudeln von dem veredelnden
Einfluss der Stil-Möbel gesprochen wird;
was hilft es, dass kunstgemäße Arbeiter-
Einrichtungen gezimmert werden, ja dass
man vielleicht schon nahe daran ist, dem
Pöbel den Morgenkaffee in Tiffany-Töpfen
zu servieren — wenn dann allemal eine
volksthümliche Kundgebung, barbarisch
arrangiert, die Sinne der Schaulustigen
foppt und ihren Geschmack auf Jahre
hinaus missbräuchlich fälscht!
Will man nun aus unserer Gasse den
stilbildenden Factor formen, von dem
soeben die Rede war, dann wird man
wohl vornehmlich auf das Flachornament
des Kunstgewerbes, auf die moderne Glas-
malerei, Musterweberei, Keramik, Gobelin-
und Placat-Technik zurückgreifen müssen,
aber der läppischen Jahrmarktlüge und
namentlich auch der Conditor-Phantastik
modischer Pavillon-Architekten sorgsam aus
dem Wege gehen. Vielleicht wird man auch
unter dem Eindruck der neuen Aufgabe auf
neue Techniken stoßen und zu ungewohnten
Zwecken ungewohnte Materialien heran-
ziehen. Und vor allem wird man sich
wohl sagen dürfen, dass Gassen- oder
Straßenzüge als Farben-, Licht- und Linien-
Accorde zu nehmen sind, die man in
ihre Elemente zerlegen und durch ver-
schiedentliche Modulationen neuschöpferisch
aufbauen kann. Darnach wird man be-
stimmen können, an welchen Punkten des
Ganzen specielle Farben-, Licht- oder
Linien-Effecte ausgleichend zu überwiegen
haben; auch wird sich so ermessen lassen,
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in welcher Höhe, Tiefe und Nachbar-
schaft verwandte Stil-Elemente eingreifen
müssen, um den Effecten auf der ent-
gegengesetzten Seite des Sammelpunktes
harmonisch zu entsprechen — womit
denn alles Störende aufgehoben und
ins Gleichgewicht gestellt wäre. In
ähnlicher Weise kann ein ordnender, aber
kühner Geist, der das Eine durch das
Andere hebt und zuletzt doch im Ganzen
den vollendetsten Einklang erreicht,
selbst nichtssagende kleine Farben und
harmlose kleine Linien zu vieldeutigem
Leben wecken. Daneben wäre auch die
Beziehung der Farben und Linien zu
unserer Empfindung (und nicht bloß
ihre symbolisch-nationale, also intellectuelle
Bedeutung) zu berücksichtigen. Auch der
besondere Eindruck der Farben, wenn sie
— wie in der »hohen« Kunst nur selten —
mit großem Übergewicht in unser Ge-
sichtsfeld fallen, müsste klüglich erwogen
werden. Nebenher kämen die rhythmischen
Gefühle in Frage, die durch den Falten-
wurf frei fallender oder kunstvoll ge-
schlungener Stoffe in unseren Sinnen
ausgelöst werden. Was ließe sich nicht
alles — um nur ein Beispiel namhaft
zu machen — aus der gelben Farbe
hervorzaubern (insofern kämen schwarz-
gelbe Kundgebungen den Künstlern sehr
zu statten), wenn man bedenkt, dass die
moderne Malerei just eben aus dem Gelb
(Orange, Sonnengold, Ocker) die er-
lesensten Probleme holt, oder wenn
man sich etwa ins Gedächtnis ruft, dass
die Inder ihre buddhistischen Bet-Räume
lediglich durch gelbe Stoffe in der wechsel-
vollsten, gefälligsten Weise zu verschönen
wissen. Insonderheit auch durch Beleuchtung
wäre Treffliches zu erreichen. Aber dann
müsste man mit glücklichstem Fein-
gefühl über den architektonischen Linien
der Bauten Glühlichter, Leuchtkreise
und Flammenketten zu Arabeskengebilden
zwingen, die den Baustil der Hintergründe
geistreich zu variieren hätten — statt ihn
gedankenlos und träge in sein Gegentheil
zu kehren.*
All dies nun wären Aufgaben, deren
künstlerische Lösungen eher organische Neu-
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