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Recht curios ist es, zu prüfen, welche
Resultate diese plötzliche Wandlung des tradi-
tionellen Arbeitszeuges künstlerisch hervorge-
bracht hat. Keine sonderlich interessanten.
Das Material hat sich geändert; die Malerei
ist dieselbe geblieben. In diesen modernen
Gemälden findet man die Japaner so wieder,
wie sie von jeher gewesen: sehr präcise Zeichner,
delicate Coloristen. Ihre Landschaften haben so-
zusagen stets das nämliche räthselhafte Lächeln.
Ihr altes Verdienst haben diese Maler bewahrt:
niemals mittelmäßig zu sein; ein japanischer
Künstler malt nicht, wenn er nicht sein Metier
auf das genaueste kennt. Selbst die Schwächsten,
denen jegliches Genie fehlt, haben Wissen und
Redlichkeit. Die Ölmalerei der Japaner ist
sehr gut vertreten; über das Gute aber erhebt
sich — dieses weit überragend — eine wunder-
bare Landschaft von Hiroshi Yoshida.
Auch die alte Manier ist reichlich ver-
treten; sie berührt fast durchwegs lieblich und
angenehm; da sind die traditionellen Blumen,
Blüten, Vögel, Affen, Tiger, Adler, die man
kennt und seit vielen Jahrzehnten in ganz Europa
schätzt; da sind die oft gesehenen Cascaden und
Berge, in allen Tages- und Jahreszeiten aufge-
nommen, im Schneegestöber, im Nebel, im
Regen, im Sonnenglanz. All dies ist wohl ein
wenig einförmig; man könnte etwa sagen: es sind
das regelmäßige, stets gleichwertige und gleich-
bleibende Producte eines wundersam organi-
sierten Ateliers; man könnte dies sagen, und es
wäre ungefähr die Wahrheit. Denn die japani-
schen Maler sind weit eher eine Zunft, als indi-
viduelle Persönlichkeiten. Man ersieht aus dem
Katalog, dass sie alle noch immer, wie in ver-
gangenen Jahrhunderten, zu Kioto, Tokio und
Osaka wohnen. Gleichwohl ringt sich ein
Name stark und eigenkräftig aus dem gefälligen
Einerlei hervor: es ist Suiséki Ohashi, dessen
Tiger von unbeschreiblicher Herrlichkeit sind.
Mit Freuden constatiert man, dass die
europäische Civilisation in Japan die nationale
Cultur noch nicht getödtet hat.
DIE SCULPTUR.
Nur noch wenige Worte über die Bild-
hauerwerke der Ausstellung. Wollte man näher
darauf eingehen, brauchte man allein für
Rodin sehr viele Seiten. Im übrigen war von
ihm in diesen Blättern des öfteren schon —
und auch vor kurzem erst — die Rede.
In FRANKREICH also: Rodin. Seine Special-
Ausstellung füllt einen besonderen Pavillon.
»Es gibt Leute«, sagte mir ein großer Weiser,
»die es bedauern, nicht zu Michel-Angelos
Zeiten gelebt zu haben. Ich komme soeben von
der Eva Rodins: und ich bedauere nichts«.
Es wären ausser der Eva noch insbesondere
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hervorzuheben: Der Kuss, Die Bürger von
Calais, Johannes der Täufer. — Neben Rodin
weckt Falguière nur geringes Interesse. Den-
noch muss anerkannt werden, dass dieser oft
genannte Bildhauer, der eine schwere Hand
und eine vulgäre Phantasie hat, jedenfalls ein
tüchtiger Arbeiter ist. Seine nackten Frauen-
gestalten, seine Dianen, seine Tänzerin etc. sind
recht modern; Falguière hat es versucht, von
jeder gräko-latinischen Tradition frei zu werden;
so formt er »wahre« Frauen nach dem Eben-
bilde jener Schönen, die ein zeitgemäßer
Mensch zu erkennen und zu lieben vermag.
Das ist die Tradition Clésingers, dessen
Femme piquée vor 50 Jahren die Kunst-
professoren zu Entrüstungs-Scandalen getrieben
hat. Einiges von Falguière, wie von Clésinger,
wird bleiben, weil sie sich beide als Bildhauer
ihrer Zeit und nicht als Modelleure irreeller
(»idealer«) Frauen geben.
DEUTSCHLAND sandte uns: Prometheus und
Kain und Abel von Begas, die Tänzerin
und den Athleten von Stuck.
Belgien: Die menschlichen Leidenschaften,
Überfluss, Triumph des Weibes von Jef
Lambeaux, Mäher von Constantin Meunier.
RUSSLAND bringt den Prinzen Trubetzkoj,
der meines Wissens in Frankreich bislang
nicht gekannt war. Er hat sich alsbald als
einer der größten Bildhauer der Gegenwart
eingeführt; nun wird man ihn nicht mehr ver-
gessen können. Neben ihm schmilzt der be-
rühmte Antokolsky wie Schnee im Sonnen-
schein.
Und das ist alles. Nebenher könnte noch
auf ungefähr 200 Werke verwiesen werden,
die alle correct sind und Ermunterungs-
preise verdienen. Sie hier zu nennen, fehlt
Raum und Notwendigkeit. Es gibt nichts
Schmerzlicheres, als mittelmäßige oder auch
nur erträgliche Sculptur.
Vereinigt man in einem kleinen, aber
lichten Saal alle die Bilder und Statuen,
die ich hier auf meinen Spaziergängen durch
das Grand Palais notiert und in diesen
Blättern angezeigt habe, und fügt man
etwa noch zehn andere Werke ein, die
mir vielleicht entgangen sind, dann wird
das neuerdings ein zwingender Beweis
sein, dass die Kunst von heute hinter
den Kunst-Epochen der Vergangenheit in
keiner Weise zurücksteht. Dieses Kunst-
leben Europas mag uns, wie ein schöner
Trost, über alles Betrübende unserer Zeit
hinweghelfen.
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