Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 17, S. 307

Die materielle Stellung der deutschen Dichter und Schriftsteller * Rimbaud, Arthur* (Lindner, Anton)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 17, S. 307

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RUNDSCHAU.

bleibt allerdings: dass sie sich einem — be-
stimmten Geschmacke fügen.

Von einschneidender Bedeutung war die
gesetzliche Regelung des dramatischen Eigen-
thums, die Sicherung der Tantièmen. In
Österreich (Wien) zahlt man den Bühnen-
dichtern erst seit circa 60 Jahren Tantièmen.
Erwähnt sei hier, dass 1859 eine 10 percentige
Hoftheater-Tantième eingeführt wurde. Der
einst sehr beliebte Theaterdichter Kaiser
bezog ein Monatsgehalt von 24 Gulden, wofür
er dem Director des Leopoldstädter Theaters
(Carl) alljährlich sechs »den Abend füllende«
Stücke ohne sonstige Entlohnung abzuliefern
hatte! Nestroy erhielt unter derselben Direc-
tion für jedes neue Stück 100 Gulden und 6%
Tantième neben kleineren Beneficien. O. F.
Berg bekam (als Nestroy Director dieser
Bühne wurde) 75 Gulden monatlich und 5%
Tantième. Grillparzer (1833 bis 1856
Archivdirector der Hofkammer) hatte zeit-
lebens nur ein sehr geringes Einkommen. Im
übrigen hatte er den Leopoldsorden, später
auch den Hofrathstitel, und bekam sogar schon
ein Jahr vor seinem Tode ein Ruhegehalt
von 3000 Gulden ausgesetzt. Damals schrieb
Bauernfeld:

Zählt ein Dichter achtzig Jahr’,
Kommt er hier zu hohen Ehren,
Auch zu höherem Salar,
Es im Jenseits zu verzehren.

Hebbel erhielt für seine Trilogie »Die
Nibelungen« 1000 Thaler (Preis des preußischen
Königs).

Seit den Fünfzigerjahren gilt der Roman
als besonders einträglich. Die »Gartenlaube«
(Marlitt, Heimburg, Werner etc.) zahlt
selbst heute noch (L. Ganghofer etc.) 3000
bis 15.000 Mark pro Roman. Freytags »Soll
und Haben« erlebte fast jedes Jahr eine neue
Auflage. Die »Ahnen« (7 Bde.) wurden mit
420.000 Mark honoriert. Spielhagen musste
anfänglich »Stunden geben«. Seine ersten vier
Bücher brachten ihm 200 Thaler. Umso be-
haglicher gestalteten sich die Honorarien seiner
späteren Romane. Ebers erhielt für jedes
Exemplar seiner Romane 1 Mark; es sind im
Laufe der Jahre über eine Million solcher
Exemplare abgesetzt worden. Ähnlich ergieng
es Heyse. Levin Schückings Romane
wurden nach einem Honorarsatze von 50 Pfen-
nigen pro Druckzeile bezahlt. Hackländer
hat rund 350.000 Mark verdient. K. E.
Franzos bekam für jedes Exemplar seiner
Werke 1 bis 1½ Mark. Kretzers »Irr-
lichter und Gespenster« erzielten ein Honorar
von 18.000 Mark. H. Heiberg erhält für
jede Novelle im Umfange von 8 Bogen durch-
schnittlich 2000 Mark und mehr. Reuter,
mit seinem Erstlingswerk abgewiesen, hat
später jährliche Honorar-Antheile im Betrage
von 5000 bis zu 20.000 Thalern bezogen; seine
Werke sind heute in mehr als 1,720.000 Einzel-
bänden vorbreitet. Scheffels »Trompeter von
Säkkingen« (1854) hat einen Absatz von 300.000
Exemplaren gefunden; »Ekkehard« wurde in

mehr als 200.000 Exemplaren abgesetzt; die Ver-
kaufsbilanz seiner übrigen Werke gestaltet sich
etwa folgendermaßen: »Gaudeamus«: 72.000,
»Frau Aventiure«: 25.000, »Bergpsalmen«:
18.000, »Juniperus«: 2000, »Reisebilder«: 4000,
»Gedichte aus dem Nachlass«: 4000 Exemplare.
Hamerling bekam für »Homunculus« 10.000,
für »Lehrjahre der Liebe« 3000, für »Atomistik
des Willens« 4200 Mark Honorar. Weber
(»Dreizehnlinden«) erhielt für jedes Einzel-
Exemplar der überaus zahlreichen Auflagen
seines Epos 1¼, O. v. Redwitz (»Amaranth«)
1 Mark. Conrad Ferdinand Meyer hinterließ
ein Vermögen von nahezu 2 Millionen Franken,
das er aber nicht erschrieben, sondern ererbt
hat; in der heimatländischen Schweiz wird
er noch heute wenig gelesen, noch weniger
gekauft. Graf Schack musste die Druckkosten
einzelner seiner Werke, bisweilen auch die
Vertriebskosten, aus eigener Tasche zahlen;
seine Denkwürdigkeiten »Ein halbes Jahr-
hundert« wollte Cotta nicht einmal honorarfrei
übernehmen. In welchem Elend Anzengruber
lebte und dass er ein Witzblatt machen
musste, ist allgemein bekannt. Sudermann
erhielt für seine Romane »Frau Sorge« und
»Katzensteg« je 3000 Mark, für »Es war«
20.000 Mark; von seinen Dramen brachte „ihm
die »Ehre« allein mehr als 100.000 Mark
Tantièmen; für das bloße Übersetzungsrecht
zweier Dramen boten ihm englische Bühnen
50.000 Mark u. s. w. u. s. w. Hauptmanns
»Fuhrmann Henschel« war zwei Tage nach
der Publication des Werkes in 4 Auflagen
vergriffen; gleichzeitig wurden die nächsten
4 Auflagen durch Vorausbestellungen erschöpft;
»Einsame Menschen« sind in 10, die »Weber«
in 22, »Hannele« in 8, die »Versunkene Glocke«
in 44 Auflagen erschienen. Dazu kommen noch
die Theater-Tantièmen dieses Dichters, die
eine gigantische Höhe erreicht und dem Autor
bereits mehrere Villen eingetragen haben.

Nichtsdestoweniger gibt es auch heute
noch in ganz Europa Dichter, die so geschmack-
los sind, für ihre künstlerische Überzeugung
tantièmenfrei zu hungern. Diesen Unzeit-
gemäßen kann nicht geholfen werden

Ein nächster Statistiker wird sich wohl
vornehmlich mit O. Blumenthal, P. Lindau,
G. v. Moser, G. Kadelburg, F. v. Schönthan,
L. Fulda, F. Philippi, M. Dreyer etc. — und
im Gegensatz hiezu mit Liliencron, Halbe,
Hartleben, David, Dehmel u. a. zu befassen
haben.

Im Anschlusse an diese Notizen vergleiche
man auch (»W. R.«, III, 25, 26) die Aufsätze
über die »materielle und moralische Stellung des
modernen Schriftstellers in Paris« von Camille
Mauclair, der die beliebte Legende, dass die
französischen Autoren sehr günstig situiert
seien, gründlich bekämpft.

a. l.

In Paris hat sich ein Comité moderner
Schriftsteller gebildet, das dem Dichter des
»Bateau Ivre«, ARTHUR RIMBAUD (geb. zu

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 17, S. 307, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-17_n0307.html)