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oder gewaschene Lumpen. Aus dem
Dargestellten und aus dem Auge, das
es sieht, besteht ein wahres Bild;
und es ist das Genie dieser frühen
Künstler, dass das Auge selbst, alles
Sehen in ihren Bildern lebt, wie das
Licht in den Farben. Sie bedeuten nichts,
wenn wir die Augen schließen.
Ich weiß es sehr gut, und kein »Ob-
jectiver« braucht mich darauf hinzuweisen:
an und für sich sind diese Menschen nur
Puppen, noch Puppen. Wenn sie weinen,
verziehen sie nur das Gesicht. Sie thun
dann wie Kinder, denen man sagt:
Mach’ ein Gesicht. Wenn sie klagen, so
heben sie nur die Hände, und das genügt
ihrer Bildlichkeit; wenn sie fromm sind,
so falten sie die Hände. Von ihren
Tugenden und Lastern können sie selbst
nicht sprechen, sondern die Kronen und
Schwerter, die Gürtel und Ringe, die sie
tragen, die Thiere, die sie begleiten,
thun es.
Man will wichtigthun und sagt mir:
Diese Frau da auf dem Gobelin, die das
Schwert in die Scheide steckt, bedeutet die
göttliche Gerechtigkeit, jene andere, die im
Becher das Blut des Erlösers auffängt, ist
das Mitleid. Das ist sehr lehrreich, ist Scho-
lastik und Kunstgeschichte, im Grunde aber
nicht fruchtbar. Auf einem anderen Gobelin
mag dieselbe Frau als Maria Magdalena,
auf einem dritten als Schöne Hersilia oder
eine von den Sibyllen figurieren. Es sind
wirklich nur Puppen, sie figurieren nur
Das ist ihr Formleben und nur die eine
Wahrheit; die andere Wahrheit lebt in
ihren Augen, die noch nicht erkannt
haben und darum wie durch Wunder
irren; sie lebt in den Blumen, die keine
Wurzeln haben und doch blühen; sie lebt
in den Wegen, die sich immer treffen
und wie in Irrgärten nirgendhin zu führen
scheinen; sie lebt in den Thieren, die da
sind, als hätten sie keinen Willen, und die
Geberden machen, als erschienen sie im
Traume; sie lebt in allem, wofür es
weder Zeichen noch Begriffe gibt, weil
es jeder, ohne zu wissen, erlebt hat; sie
lebt wie alles Lebendige, weil etwas in
ihm ist, von dem es nichts weiß.
Wie sie da vor uns erscheinen, so
leben sie alle von einander und aneinander.
Wenn man hier einen Menschen, dort
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eine Burg, da einen Hirsch aus dem
Ganzen nähme, so hätte man unversehens
eine Puppe, ein Kartenhaus und ein
schlecht gemachtes Spielzeug in der
Hand. Wie wenn man drei Worte aus
einem Verse nimmt — sie sind dann leer
und bedeuten nichts. So ist es mit diesen
Menschen. Sie leben, weil sie, wie ich
sagte, an einem großen Rhythmus theil-
nehmen; und dieser ist nicht in ihnen,
heute ihr Gott, morgen ein Fest, ein
Gebet oder eine Sünde. Sie haben keine
Einsamkeit, nur sehr viele Eremiten; und
es gibt auf der ganzen Welt nichts so
wenig Einsames, wie ein Eremit auf einem
alten Bilde. Sie können nicht allein sein,
mit ihren Geberden nicht, und darum sind
sie alle und immer da. Das ist das Ge-
heimnis ihres Lebens und das Wunder
der Kunst, die sie bildet.
Und jetzt will ich sagen, was für mich
am weitesten den Sinn der Bilder begreift:
diese Menschen schaffen sich noch keine
Distanzen zu einander, sondern empfangen
sie von einem andern, von der Religion,
von ihren Abenteuern, von Dem, was noch
nicht in ihnen selbst ist, vom Künstler
schließlich im Bilde. Sie leben lange vor
Kant und seiner transcendentalen Ästhetik.
Sie wissen noch nichts von Gegensätzen.
Ein modernes Bild stellt einen Gegenstand
in Bewegung dar, indem sie ihn mit
etwas, das in Ruhe ist, contrastiert; auf
den primitiven Bildern scheint immer
eine ganze Bewegung aus zwei halben
zu bestehen. Sie sind noch ganz absolut
und glauben die ganze Erde zu haben,
wenn sie alles Sichtbare nebeneinander
stellen, und wissen noch nicht, dass nichts
im Himmel und auf Erden ist, das nicht
in einer Brotkruste, die man isst, enthalten
wäre, wie der alte Astrolog und Mystiker
sagte. Sie wissen noch nichts von der
Relativität der Dinge, ihrem Truge und
der Perspective, weil sie diese leben.
Ja, sie selbst leben die Perspective, die
unser Leben immer nur auf Augenblicke,
die einander folgen, bannt; und darum ist
alles so gegenwärtig auf ihren Bildern
und die Luft-Perspective so schlecht; und
was dem Auge nahe ist, ist groß und,
was ihm ferne ist, klein wie Spielzeuge;
und die Menschen sind Marionetten, denen
man die Distanzen gesteckt hat; und jetzt
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