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Es sind so viele Probleme, die uns
das Leben zu lösen gibt, und so wenige,
die im Ernste gelöst werden. Unter diesen
nimmt vor allen die Frage nach der Ge-
rechtigkeit, respective Ungerechtigkeit des
Schicksals einen hervorragenden Platz ein.
Wer hätte nicht schon voll Unmuth ge-
fragt: warum geht es mir fortwährend
so schlecht und Anderen so gut? Der
Hinweis auf einen persönlichen Gott,
der es so wünscht, schiebt die Beant-
wortung nur hinaus; denn warum wünscht
Gott, dass ich leide? Warum lässt er trotz
seiner Güte und Allmacht so viele Unge-
rechtigkeiten zu?
Noch mehr vielleicht verwirrt die
Frage: warum weiß der Mensch nicht
genau, was er jedesmal zu thun hat?
Wenn ein Mensen schlecht handelt, ob-
gleich er weiß, dass es schlecht ist, was
er thut, so kann man immer sagen (mit
wieviel Grund will ich hier nicht unter-
suchen): es ist seine Schuld; er weiß ja,
was er thut. Aber wie viele Menschen gibt
es, die sich in einer bestimmten schwierigen
Lage den Kopf zerbrechen und doch trotz
allen Nachsinnens nicht wissen, wie sie
handeln sollen!
Diese beiden Probleme will ich so kurz,
als es in einer Revue geschehen muss, ins
Auge fassen und zu lösen suchen. Sie sind
weder zu verstehen, wenn man auf dem
heute so verbreiteten, materialistischen
Standpunkt steht, denn der kann natürlich
die geistigen und moralischen Gründe
niemals angeben, noch kann der Glaube
an einen persönlichen Gott, der nach
Willkür schaltet, die Räthsel vollständig
lösen. Dieser Gott müsste doch wenigstens
jedem Menschen in jeder Lebenslage seinen
Willen kundthun, wenn er überhaupt
wünscht, dass er sich vor Sünde bewahre
und Fortschritte mache. Auch der Hinweis
auf die Bestimmungen einer Kirchenge-
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meinschaft ändern daran nichts. Denn die-
selben können niemals so genau festgesetzt
sein, dass sie auf alle Fälle passen. Ein
Rest bleibt immer, und der hat gerade
den edelsten Seelen am meisten Kopf-
schmerz gemacht.
Wenn man die indische Theosophie,
die jetzt endlich anfängt, in Europa be-
kannt zu werden, nach den Problemen
des Lebens durchfragt, stoßen Einem
zwei geheimnisvoll klingende Worte auf:
Dharma und Karma. Diese specifisch
indischen Begriffe, für die wir in unseren
europäischen Sprachen nicht einmal ent-
sprechende Bezeichnungen haben, können
uns Licht in die angeregte Sache bringen.
Die Inder haben sich ja seit Jahrtausenden
aufs tiefste mit metaphysischen Fragen
beschäftigt und sind uns darin so über-
legen, wie ein Greis einem kleinen Kinde.
Auch wir haben ja Denker, die sich
eingehend mit den höchsten Fragen be-
fasst haben, und die Theologen machen
sogar ein Handwerk daraus. Der große
Unterschied ist nur, dass unsere Philo-
sophen die Probleme meist ganz verstandes-
gemäß lösen wollen, während die Inder
den richtigeren Weg einschlagen, ihre
eigene Seele zu erweitern, um so auf
mystischem Wege zur Wahrheit zu
gelangen. Wir müssen also anfangen, die
Inder zu studieren, wenn wir auf geistigem
Gebiete fortschreiten und uns nicht bloß
immer im Kreise drehen wollen.
Was ist nun zunächst Karma?* Es
heißt eigentlich nur Handlung, bedeutet
aber hier das Gesetz von Ursache und
Wirkung auf metaphysischem Gebiete. Ich
hänge von meinem Karma ab, das heißt:
was ich gesäet habe, muss ich auch ernten.
Ich kann meinem Schicksal nicht ent-
gehen. Jede That trägt ihren Lohn oder
ihre Strafe in sich selber. Sie wirkt auf
dem Gebiete weiter, auf dem sie ge-
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