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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 19, S. 342

Text

BLEIBTREU: DAS »KARMA« IN DER LITERATUR.

Autor habe sagen wollen; das ist beklagens-
wert. Aber dass er sodann im Schlussatz das
Werk als den inneren Zwiespalt eines Dich-
ters
mit dem Denker bezeichnet, gibt uns
nach dem classischen Urtheil »kein Dichter«
einen hohen Begriff von seiner Logik. Dagegen
hat eine andere Revue meine Intentionen
klar erkannt: ich wollte nämlich offenbar,
meint der Referent, mit culturhistorischer
Treue alte Inder schildern, etwa im Stile
der Sakuntala, und das misslang mir natürlich.
Davon abgesehen, dass die Moslems von Delhi
und die Zeit Aurengzebs überhaupt nichts mit
Alt-Indien zu thun haben, empfehlen wir dies
kritische Recept zu weiterer Verwertung:
Man schreibt dem Autor eine Absicht zu, die
er offenkundig nicht hatte (gerade die absicht-
lich »modernen« Satiren meines symbolistischen
Dramas machen dies ja sonnenklar), und nennt
dann seinen Zweck gescheitert, weil ja selbst-
redend die willkürliche Unterschiebung sich
mit dem Thatbestand nicht deckt. Im übrigen
bin ich »theatralisch wie Meyerbeer« und
»undramatisch wie ein Buddhist«! Auch wird
»der Fürst erhöht, der Weise erniedrigt« —
weil nämlich das geborene Genie den geborenen
Fürsten materiell vernichtet und dann noch-
mals ideell durch selbstlosen Opfertod besiegt,
indes der Fürst sich zu sterben weigert!
An derlei Argumente weiter Worte zu ver-
schwenden, muthe man mir nicht zu. Wenn ich
aber als Literarhistoriker, d. h. Kenner der
wahren Literatur, nicht der modernen Mache,
wie sie etwa ein gewisser Moriz Meyer jüngst
in seiner sogenannten Literaturgeschichte ver-
trat, einfach fassungslos vor der Behauptung
stehe, »Karma« enthalte keinerlei dramatische
Handlung, so empfehle ich auch hier zur Nach-
ahmung die köstliche Phrase: »nur ein Schein
von Handlung«, also: die Handlung ist da,
aber sie ist nur Schein, was sich zwanglos
auf jedes missliebige Bühnenwerk anwenden
lässt.

Denn wo Begriffe fehlen —!

Wenn das »Montagsblatt« fürchtet, »der
wohlverdiente Erfolg« werde wohl leider kein
»anhaltender« sein, so widerspricht dem freilich
der gute Besuch der bisherigen Aufführungen.
Aber schuf ich denn »Karma« überhaupt des Er-
folges wegen? Wahrlich nur aus innerer Nöthi-
gung rein idealer Gründe. »Reichswehr« und
»Deutsche Zeitung« meinen, »der temperament-
volle Denker und gedankenvolle Dichter« hätte
sich durch ein anderes seiner Dramen vielleicht
besser in Wien eingeführt. O, si tacuisses! Das
steht gleichwertig neben dem Vorwurf der
dem Jubiläumstheater abgeneigten Kreise, das
Stück hätte am Burgtheater den geeignetsten
Boden gefunden. Gewiss ist es sehr empfehlens-
wert, seine Stücke wie die Bühnenherrscher
Hauptmann und Sudermann gleichsam von
Kainz und Sorma neu schreiben zu lassen, so
dass der geniale Schauspieler aushilft, wo der
Dichter versagt. Aber man fordere doch einmal
die Herren Schlenther und Brahm auf, meine
Dramen zu probieren! Wie naiv! Und wohl
ist nur zu richtig, dass man gerade bei mir

nur durch die Totalität des Schaffens, nie
durch ein Einzelwerk, den richtigen Eindruck
gewinnt, und dass gar viele weit eher von
anderen meiner Dramen sich fesseln lassen
würden. Aber wo ist die Bühne, die mir auch
nur ein Hundertstel der liebkosenden Förderung
widmen würde, wie sie jenen anderen zutheil
wird? Warum unterzieht man sich nicht
einmal der Mühe, wo soviel elendes Zeug
tagtäglich mühevoll insceniert und trotz der
falschen Speculation zum Durchfall reif wird,
eine Reihe meiner Dramen in einer Saison zu
geben, damit man doch eine Ahnung von
dem Umfang meiner Dramatik gewinne? Ich
sage: eine Ahnung, denn in Wien scheint man
keine Ahnung davon zu haben, dass der
Berliner Literatenmob mich überhaupt nicht
mehr zu den Lebenden zählt, dass ich mit
aller Gewalt zum Moriturus gestempelt werden
soll? »Majestät überschätzen mir,« wie der alte
Wrangel sagte, als ihm der Sultan den Harem
zeigte — man ahnt wohl gar nicht in Wien,
was für mich diese Aufführung bedeutet, die
laut der »Neuen Freien« ein »Irrthum« war!
Zufrieden mit der Darstellung, voll befriedigt
von der Inscenierung seitens des trefflichen,
hochgebildeten Regisseurs Pohler, schulde ich
dem Jubiläumstheater den größten Dank. Denn
es hat mir die Bescheinigung ausgestellt,
dass ich wirklich noch existiere! Man wird unter
Berliner Literaten kopfschüttelnd dies Erwachen
vom Scheintod bestaunen, als habe Andrée den
Nordpol gefunden. Denn wie Einer so schön
schrieb: »Bleibtreu entsagte längst dem Aschen-
brödel Poesie und ward Militär-Schriftsteller«.
Das gestattet man mir, aber Dramen zu ver-
brechen habe ich überhaupt kein Recht mehr.
Denn wie der Leiter einer allerersten Bühne
mir so treffend schrieb: »Bei ihnen wird ja
das Publicum unaufhörlich zum Nachdenken
aufgefordert,« das wäre ja eine Entheiligung
des Vergnügungs-Circus. Und so hat denn
diese Wiener That Director Müller-Guttenbrunns
thatsächlich in die schier unglaubliche Dreistig-
keit, mit der man mein literarisches Bild zu
fälschen wagte, doch einige Aufklärung hinein-
gebracht. Möge ihm Karma-gemäß die gute
Folge seiner guten Handlung erblühen!

Wider »ästhetischen« Unverstand sich auf-
zulehnen, wäre zwecklos. Anders steht es mit
der irrigen Auffassung meiner moralischen
und intellectuellen Absichten. Hier ist Auf-
klärung am Platze, und das bringt mich auf
die folgenden drei Dinge, die ich nicht ver-
schweigen möchte:

Die »Arbeiter-Zeitung«, die später noch
ein besonderes und verständnisvolles Feuilleton
über mein Drama brachte, meint in ihrem
ersten Referate, meine »übers Gewöhnliche
hinaufstrebende ernste Dichterschöpfung« sei
durch die Direction »verunreinigt« worden, weil
letztere darin eine »Verherrlichung der wahren
Monarchie« erblickt habe. Ich muss die Direc-
tion gegen diesen Vorwurf der Willkür in
Schutz nehmen, sie hat nur meine eigene
Intention wiedergegeben, wobei allerdings das
Prädicat »wahre« doppelt zu unterstreichen

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 19, S. 342, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-19_n0342.html)