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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 19, S. 341

Text

DAS »KARMA« IN DER LITERATUR.

CARL BLEIBTREU, dessen Drama
»KARMA« vor kurzem mit starkem Erfolge
auf der Bühne des Jubiläums-Stadttheaters in
Scene gieng, sendet uns die folgende Zuschrift.
Wir werden auf die interessante und vielfach
missverstandene Dichtung zurückkommen, so-
bald die Buchausgabe des Werkes vorliegen
wird.

Mit der Aufnahme meines »Karma« in
Wien bin ich sehr zufrieden. Man fabelt so-
viel von besonderer Unanständigkeit der Wiener
Presse, aber das ist Legende, wie die angebliche
»Theuernis« Wiens oder die »Unterdrückung«
in Österreich oder die Ruchlosigkeit der
hiesigen Censur, immer im Vergleich zu
»draußen« gesprochen. Anderswo — man
weiß wo — kann man noch ganz andere
Schlangenknäuel der Cliquen- und Claquen-
wirtschaft anstaunen, und die Rüpelei des
Tons entspricht der Minderwertigkeit dieser
schnoddrigen Kritiker am grünen Strande der
Spree. An der schönen blauen Donau geht’s
doch noch anständiger her. Wenn ich bedenke,
dass Blätter, von denen ich nichts Freundliches
erwartete, wie das »Neue Wiener Tagblatt«,
das »Extrablatt«, vor allem das andere »Tagblatt«,
in hochanerkennender, letzteres sogar wärmster
Tonart mir gerecht wurden, so kann ich nur
dankbar ein günstiges Karma preisen. Die paar
unliebenswürdigen Stimmen anerkennen, wie
das clericale »Vaterland«, wenigstens den
»literarischen« Wert, und die »Neue Freie
Presse« sogar meine »vortreffliche Gesinnung«,
wofür ich tiefgerührt quittiere, wie das lachende
Wien erfahren wird. Mit tiefem Verständnis
äußerte sich besonders die »Ostdeutsche
Rundschau«, auch betont das »Deutsche Volks-
blatt« nicht ohne Grund, das Publicum habe
hier bewiesen, dass es für höhere Poesie
doch reif genug sei. Wenn das »Neue
Wiener Journal« zwar »viel des Schönen,
große Gedanken in blendender Form« zugibt,
jedoch mit dem Journalistenwitz schließt:
»Beinahe wurde der Dichter gerufen«, so haben
ja Blätter genug constatiert, dass der Dichter,
»den vielen Hervorrufen nach jedem Act zum
Trotz«, absichtlich unsichtbar blieb, »und man
hätte ihn doch so gern begrüßt«. Aber die
Phrase vom »äußern Achtungserfolg« verdient
tiefer gehangen zu werden. Bekanntlich ist
Achtungserfolg für den Pressebeflissenen alles
das, was von nicht versippter Seite ausgeht;
wenn hingegen ein paar gute Freunde den
Autor hervorbrüllen, so ist dies selbstredend
kein äußerer, sondern ein »voller« innerer
Erfolg — sehr richtig, denn nur wer die

inneren Umstände kennt, begreift die Lügen-
fabrik der versendeten Telegramme. Habe
ich doch erlebt, dass ein trauriges Product
von Fulda in Stuttgart einen »durchschlagenden
großen Erfolg« laut Presse erzielt haben sollte;
nachher in Stuttgart erfuhr ich an Ort und
Stelle, dass es überhaupt nur einmal gegeben
werden konnte! U. s. w. in infinitum. Auch
die Bezeichnung »Buchdrama« gehört be-
kanntlich zum eisernen Bestand der großen
Lügenfabrik — für alles, was über’s elende
Gewohnheitsniveau wegragt und dem man
leider sonstige Qualitäten nicht absprechen
darf. Derlei Spiegelfechtereien und Begriffs-
verwirrungen durchschaut der Wissende mit
heiterer Ruhe und würdigt den »vollen Erfolg«
der Cassenrapporte (oft auch nur erlogen und
lediglich durch absichtliche Täuschungsversuche
des zur Clique eingeschworenen Directors vor-
geschwindelt, während nachweislich Stücke
mit gutem Cassennachweis plötzlich ver-
schwinden, weil es aus anderen Gründen dem
mitverschworenen Director so passt). Denn wie
der junge Georg Hirschfeld so schön irgendwo
singt: »Pinke is die Seele von’s Butterjeschäft«.

Zu dieser »Seele« gehört es auch, dass
mit Ausnahme der »Münchner Allgemeinen«,
wo Herr Bettelheim zugestand: »Der Haupt-
gedanke der Dichtung offenbart sich mit er-
greifender Macht«, und der »Hamburger Nach-
richten«, die kühl lächelnd das Referatchen der
»Neuen Freien Presse« abdruckten,* kein ein-
ziges reichsdeutsches Blatt auch nur die kleinste
Notiz über meine Aufführung brachte. Dagegen
die Neueinstudierung der schon längst be-
kannten »Mütter« — das war ein Staats-
Ereignis, für das kürzere Telegramme kaum
noch genügten und dem man Riesen-Feuilletons
zu widmen wusste! Für jeden Kenner unserer
literarischen Zustände spricht das zwar Bände,
aber ein Augurenlächeln bleibt unser Trost im
Leid. Ist es nicht zwerchfellerschütternd, dass,
wie oben erwähnt, das Bismarck’sche Leibblatt
urgemüthlich auf die ihm sonst so — sym-
pathische »Neue Freie« schwört, wo sich’s um
Kunstdinge handelt! Es hat diese Notiz, die
eine doppelte Fälschung des Thatbestandes
enthielt, wohl gar für wohlwollende Unpar-
teilichkeit gehalten! Wie bezeichnend, dass
kein österreichisches Provinzblatt das Gleiche
that! Vielmehr schrieb z. B. das »Prager
Tagblatt«: »Überaus fein geschilderter und
kräftig geführter Conflict Das Stück ist
kräftig, fesselnd, geistreich«.

Eine Wochenschrift entdeckte, mein Drama
habe »kein Dichter«, sondern nur »ein ins
Großartige strebender Denker geschrieben«.
Der Referent gesteht, er wisse nicht, was der

* Das Blatt constatierte jedoch gleich nachher in loyalster Weise, dass man durch dieses Referatchen irregeführt
worden sei.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 19, S. 341, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-19_n0341.html)