Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 19, S. 343

Das »Karma« in der Literatur Baumgartner S. J.: Geschichte der Welt-Literatur* (Bleibtreu, CarlGraevell, Harald)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 19, S. 343

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BÜCHER.

war. Das Blatt hätte aus einer Erklärung Bebels
in massenhaft verbreitetem Separatabzug wissen
können, dass ich (Bundesgenosse Bebels in der
Milizfrage) thatsächlich die sociale Monarchie
für die beste Staatsform und nur in ihr die
sociale Frage lösbar halte, nie in einer Bour-
geois-Republik. — Wenn aber ein sonst präch-
tiges Sonntags-Feuilleton eines polemischen
Organs meint, das »großartige« Stück leide
unter dem indischen Mummenschanz, und
andeutet, ich hätte österreichische Zu-
stände geißeln wollen, so versichere ich, dass
mir dies absolut fernlag. — Eines der Blätter
erklärt gar, dass ich »stets« im Banne der
Wirkung »irgendeiner literarischen oder po-
litischen Erscheinung« stand, als emsiger
Streber immer »nach Neuem spürend«, wie
gerade die Mode es verlangt!! Da jeder Kundige
weiß, dass ich umgekehrt »stets« abseits stehe
und gegen den Strom schwimme, so wende
ich mich gleich der nachfolgenden Bemerkung
zu: »Karma« sei — auf Nietzsche zurückzu-
führen, dessen »fremder Hauch« meine Figuren
belebe! Da nun Nietzsche »stets« gegen
indische Mystik zeterte, meine eigene Gedanken-
welt aber sich in Wahrheit gegen Nietzsche
richtet, so hat ein anderes Blatt, die »Wiener
Abendpost«, mein »Karma« ganz treffend »das
Anti-Nietzsche-Stück« getauft. (Wäre der
treffliche Greis Uhl nicht schon nach dem dritten
Act nach Hause zum Nachtmahl gewandert,
so hätte er sich überzeugen können, wie
richtig er den Inhalt geahnt hat — denn
über mehr als Ahnung verfügt man ja nicht,
wenn man die Hauptacte gar nicht mitangesehen,
aber doch eine maßgebende Recension darüber
verfasst hat.) Eine Dichtung, die von Buddhas
»Hauch« durchweht ist, mit Nietzsche fälschlich
in Verbindung bringen — solche Missdeutung
sittlicher Überzeugungen verbitte ich mir.

Großen Anstoß nahmen Einige an dem
Theaterzettel, der in überschwänglicher Form
meine Verdienste pries und u. a. behauptete,

selbst meine Widersacher stellten mich neben
oder über Grabbe, Hebbel und Kleist —
woran sich allerdings logisch die spöttische
Frage knüpfen lässt, was dann wohl erst die
Freunde thäten! O ja, diese Freunde haben
freilich schon Wertabschätzungen verzapft, die
leider ganz dieser spöttischen Schlussfolgerung
entsprechen, was ich als unreif übertrieben
immer ablehnte. Den Widersachern aber fiel
es selten ein, mich neben Kleist zu stellen,
und thaten sie dies wirklich bezüglich Grabbes,
so sollte dies in ihrem Munde keine Ehrung
bedeuten, da die bodenlose Unreife der
Professoren-Ästhetik bekanntlich Grabbe längst
zu den Ewig-Todten warf. Da nun nächstens
in Wien eine Verballhornung des Grabbe’schen
»Napoleon« das Licht der Rampen erblicken
soll, so sei die Gelegenheit nicht versäumt,
demnächst en bloc über literarische Wertmaß-
stäbe einige unzeitgemäße Wahrheiten zu
verabreichen.

Nachschrift. Seither haben die »Nord-
deutsche Allgemeine« und besonders die
Berliner »Neuesten Nachrichten« glänzende
Referate über den zweifellosen starken Erfolg
gebracht. Das ändert nichts daran, dass andere
große Blätter, die sonst über jede Nichtigkeit
sich depeschieren lassen, tödtliches Schweigen
bewahrten, dass das »Hamburger Fremdenblatt«
dreist constatierte, ich hätte »Fiasco gemacht«,
und das famose »Kleine Journal« (die so-
genannte »Jüdische Kreuzzeitung«) die Notiz
der »N. Fr. Pr.« wörtlich abdruckte unter der
Maske: »Man schreibt uns aus Wien«. Was
liegt hier vor? Unbefugter Nachdruck, be-
ziehentlich literarische Urkundenfälschung —
oder hat der Referent dieses Wiener Blattes
als Correspondent jenes so kleinen Journals
sich selbst nachdrucken lassen?

WIEN. CARL BLEIBTREU.

BÜCHER.

BAUMGARTNER S. J.: GESCHICHTE
DER WELT-LITERATUR. III. Die griechische
und lateinische Literatur des classischen Alter-
thums. Herder. Freiburg. 1900.

Der neue Band des gelehrten Verfassers
ist mit bekanntem Fleiße geschrieben. Er hat
die neuesten Werke citiert und benützt; doch
ist der Ton, in dem er schreibt, ein zu schul-
meisterlicher. Das Buch scheint in erster
Linie für Gymnasiasten berechnet zu sein.
Ein tieferes Verständnis für die heidnische
Welt-Auffassung fehlt ihm gänzlich. So z. B.
wiederholt Baumgartner in seinem Capitel über
die griechischen Philosophen den alten Unsinn,
dass nach Thales »das Wasser« der Urgrund

aller Dinge sei, nach Anaximenes »die Luft«,
nach Herakleitos »das Feuer«. Hätte der Ver-
fasser nicht solche kindlich-naive Vorstellungen
von der Weisheit der großen Philosophen des
Alterthums, so wüsste er, dass unter diesem
Urgrund der Erscheinungen nicht das sicht-
bare Wasser oder Feuer u. s. w. gemeint ist,
sondern der Urstoff, das Weltenei, die Quint-
Essenz, der Äther (Akasa). Auch in der Bibel
schwebt Gott über den Wassern (der Tiefe),
wie man überhaupt die Erschaffung der Welt
in der Genesis gar nicht verstehen kann ohne
Zuhilfenahme der »heidnischen« Mythologie.
Ebenso ist das ἄπειρον, der Raum, so gut die
Quelle der Materie, wie der »ewige Fluss«.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 19, S. 343, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-19_n0343.html)