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trat der christliche Gedanke hervor in der
von Kant begründeten, von Schopenhauer
zu Ende gedachten Ethik. Der Kern unseres
Wesens, so lehrt Schopenhauer, der philo-
sophas christianissimus, ist der Wille; seine
beiden Pole sind Bejahung und Verneinung;
jene bildet als der Egoismus die Wurzel
unseres ganzen, natürlichen Daseins, diese
kommt im Widerspruche mit der em-
pirischen Naturordnung zum Durchbruche
in jeder moralischen Handlung, d. h. in
jeder Handlung, welche unserem Natur-
triebe nach Leben, Genuss und Glück ent-
gegenarbeitet, mag dieselbe nun das Wohl
unserer Mitmenschen oder geradezu und
ohne einen solchen äußeren Zweck die
Kreuzigung des natürlichen Menschen in
uns durch freiwillige Übernahme von Ent-
sagungen, Mühsalen und Schmerzen ver-
folgen. Diese, der natürlichen Strömung ent-
gegenarbeitende Richtung nannte Schopen-
hauer anfänglich »das bessere Bewusst-
sein«, später aber mit der Neuerung eines
zuerst von Jesu gebrauchten Ausdruckes:
»die Verneinung des Willens zum Leben«.
Dieser Ausdruck musste negativ sein, weil
alle positiven Anschauungen und Begriffe
dem Reiche der Bejahung entspringen und
daher irreleitend sein würden; in Wahr-
heit aber ist die Verneinung des Willens
zum Leben etwas durchaus Positives, die
Quelle aller uninteressierten Gerechtigkeit,
Menschenliebe und Opferwilligkeit für
große Zwecke, alles großen, heroischen,
überindividuellen Strebens und Schaffens,
während vielmehr die Bejahung in Sinn-
lichkeit, Genuss-Sucht, Furchtsamkeit und
kleinlicher Besorgtheit um die eigene
Person und ihre armseligen Interessen
ihren deutlichsten Ausdruck findet. Wie
viele andere, so hat auch Nietzsche dieses
Wesen der Verneinung verkannt, sonst
würde er begriffen haben, dass dasjenige,
was er über alles hochschätzt und wozu
er die Menschheit führen möchte, in unserer
Sprache zu reden, nicht Bejahung, sondern
Verneinung des Willens zum Leben ist.
Denn Bejahung ist Schwäche, ist ein
ängstliches Kleben an dem eigenen Ich
und seinen Interessen. Was kommt dabei
für mich heraus? — so fragt der Bejahende,
und diese Rücksichtnahme verhindert ihn,
die ganze Wucht seiner Persönlichkeit ein-
zusetzen, um mit objectiver Hingebung
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irgendeinen großen Zweck zu verfolgen.
Dies vermag nur, wer über seinem Werke
sich selbst vergisst, und ein solches Selbst-
vergessen heißt Verneinung. Der Wille
zur Macht, den Nietzsche zur Entfaltung
bringen will, liegt in der Richtung der
Verneinung, nicht in der der Bejahung,
deren Grundzug Sinnlichkeit, Schwäche
und Unvermögen zu allem Großen ist.
Oder, wenn man eine andere Terminologie
vorzieht: der Wille zur Macht ist nicht
eine individuelle, sondern eine überindi-
viduelle Bejahung, d. h. er ist Verneinung.
Mit Recht dringt Nietzsche darauf, dass
der Wille von allen Fesseln des Wahnes
und Aberglaubens, von allen religiösen
und moralischen Traditionen sich frei
mache, um jenseits von Gut und Böse ganz
nur sich selbst anzugehören und aus ur-
eigenster Entschließung sich zu seinen
Handlungen zu bestimmen; er verlangt —
in Kants Sprache zu reden — nicht Hetero-
nomie, sondern Autonomie des Willens,
d. h. er verlangt nicht Bejahung, sondern
Verneinung, wenn man diese Worte richtig
versteht. Verneinung ist ihrem Wesen
nach stets asketisch, sie ist hart und herb,
wie Nietzsche es will, und wenn diese
Härte und Aufopferung des eigenen Selbst
die Form des Mitleids gegen andere an-
nimmt, welche Nietzsche so sehr per-
horresciert, so ist zu bemerken, dass diese
Form für den Wert der Handlung von
keiner Bedeutung ist, denn nicht in dem,
was sie für andere ist, liegt der moralische
Wert einer Handlung, sondern in dem,
was sie für uns ist, d. h. in dem Grade
der Selbstverleugnung, der in ihr sich be-
kundet. Der Mensch ist ein Übergang,
eine Brücke, der Mensch ist etwas, das
überwunden werden muss — so predigt
Nietzsche, und so predigten vor ihm alle
großen Lehrer der Moral und Religion.
Und wenn der Veda sagt: befreiet euch
von dem Wahne der Individualität und
erkennet, dass ihr der Atman seid; wenn
die Bibel fordert, dass der alte Mensch in
uns sterbe, damit nur Christus, der neue
Mensch, in uns lebe — so bedeuten diese
Forderungen im tiefsten Grunde dasselbe,
was Nietzsche will: dass der Mensch in
uns überwunden werde, damit der Über-
mensch entstehe. Nietzsches Übermensch
ist ein Menschheits-Ideal, geradeso, wie es
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