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Den einzig möglichen Ausgangspunkt,
oder, um im Bilde des Aufbaues zu
bleiben, den Grund- und Eckstein einer
heroischen Welt-Anschauung bildet selbst-
verständlich unser Ich. Denn es gilt ja
eben, dieses Ich oder Selbst im Kampfe
ums Dasein auch denkerisch zu behaupten,
und selbst wenn wir vielleicht zum Schluss
den höchsten Heroismus (praktisch) gerade
in einer Opferung unseres Ich für höhere
Zwecke zu finden hätten, so werden wir uns
doch darüber klar sein, dass wir auch alsdann
unser Ich nur unserm Ich opfern, nämlich
eine schlechtere Daseinsart einer höheren.
Ja selbst wenn wir uns in den Abgrund des
Nichtseins zu stürzen den heroischen
Entschluss fassen müssten, wir würden
es nur thun, um gleichwohl unser (ideales)
Ich zu behaupten. Angenommen z. B., ein
Winkelried oder Decius Mus hätten die
Überzeugung gehabt, dass der Tod die
absolute Vernichtung des Daseins bedeute,
ihr Heldentod war alsdann gleichwohl
nichts anderes, als die vollkommenste Be-
jahung und Selbstbehauptung ihres Wesens,
ihres Wertes; durch die Preisgabe ihres
Ich haben sie gerade sich ihr Ich be-
währt. Wenn uns nämlich die Wahrheit
ein Wertbegriff ist, so ist ihr Stammwort
»bewähren« nicht unbedingt im Sinne
einer unbeschränkten Zeitdauer zu nehmen.
Soll also eine denkerische Selbst-Orientierung
in der Welt möglich sein, so gilt auch für
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uns die delphische Inschrift: γνῶϑι σεαυτόν
(»Erkenne dich selbst«) als erstes Gebot.
Δός μοι ποῦ στῶ! »Gib mir einen
Standpunkt und ich werde die Welt aus
den Angeln heben« soll ein berühmter
Mechaniker des Alterthums gesagt haben.
Auch wir wiederholen dieselbe Forderung
in einem übertragenen, geistigen Sinn,
auch wir bedürfen eines Standpunktes, um
uns und die Welt zu verstehen. Wie
aber die Forderung des Archimedes
mechanisch unerfüllbar ist, so be-
hauptet auch der weitgehendste Skepti-
cismus einzelner Denker, indem er dem
Ich-Begriff jede Wahrheit abspricht, die
Unerfüllbarkeit unserer erkenntnis-theo-
retischen Forderung. »Ein ποῦ στῶ«, schreibt
z. B. der scharfsinnige Verfasser einer
»Physiologischen Erkenntniskritik« (Jena,
1898) Professor Ziehen (S. 1), »werden
wir niemals finden. Wir jagen auf unseren
Vorstellungen und Empfindungen dahin. Weder
können wir ihnen in die Zügel fallen, noch
aus dem Wagen, in dem wir vorwärtsfliegen,
herausspringen, um den Zuschauer zu spielen.
Jeder Gedanke über unsere Vorstellungen ist
eine neue Vorstellung. Indem wir den Augen-
blick A erforscht zu haben glauben, sind wir
eine Beute des Augenblicks B. Die erkennende
Vorstellung erheischt eine neue Vorstellung,
durch welche wir sie wiederum erkennen
müssten. Nichts kann uns diesem Progressus
in infinitum entreißen. Wir können auf die
Schildkröte den Elefanten, den Elefanten auf
die Lotosblume thürmen, wir können Apper-
ception auf Apperception häufen: Das letzte
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