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Ich, welches als beharrende höchste
Instanz das definitive Erkennen
leisten könnte, erreichen wir nicht.
Wir können uns nicht am eigenen Zopfe aus
dem Sumpfe ziehen«.
Aber wäre es denn unbedingt nöthig,
um mit unseren Vorstellungen und Empfin-
dungen uns und die Welt zu begreifen, uns
außerhalb unserer eigenen Vorstellungen
und Empfindungen zu stellen? Nach der-
jenigen Auffassung vom Wesen der Wahr-
heit, die wir in einem früheren Aufsatze
dargelegt haben, würde ja gerade dieses
Verlangen das widersinnigste von
Seiten eines Wahrheitssuchers sein; die
Welt können wir nur soweit begreifen,
als wir ein Theil ihrer selbst sind und
sie ein Theil unseres Selbst werden
kann. Esse est percipi (Sein ist Bewusst-
sein); dieser Satz ist in seiner Um-
kehr vielleicht richtiger: Percipi est esse:
Bewusst-Sein ist jedenfalls eine Art des
Seins. In jeder Empfindung, in jedem
Gefühl, in jedem Willensact, in jeder Vor-
stellung — ich lasse hier die von der Philo-
sophie aufgestellte Frage nach unbewuss-
ten Gefühlen, Vorstellungen, Willensacten
einstweilen beiseite — haben wir jeden-
falls einen Theil unseres Seins, auch
sofern wir ihrer bewusst sind. Wir haben
alsdann eine Wahrheit im vollsten Sinne
einer Identität von Sein und Wissen. Wir
sind hier, was wir wissen, wenngleich
wir vielleicht schwerlich jemals alles wissen,
was wir sind.
Das Verlangen nach einem Standpunkte
außerhalb unseres Bewusstseins kann wie
jene indische Erklärung des Weltbaues, auf
die der citierte Erkenntniskritiker anspielt,
nur einem Skepticismus, einem Schwäche-
gefühl entspringen, das in einer heroischen
Welt-Anschauung keinen Platz zu be-
anspruchen hat. Wir Modernen wissen
ja, dass auch die Erde keines Stützpunktes
im Weltenraume bedarf, dass sie nicht
auf dem Rücken eines Elephanten ruht,
sondern ihren Schwerpunkt im
eigenen Mittelpunkte hat, um den sie
sich dreht und mit dem sie freischwebend
ihre Bahn um die Sonne vollendet.
Auch denkerisch fürchten wir uns nicht
vor diesem Schweben im leeren Raume,
d. h. vor diesem Beruhen auf uns selbst.
Im Gegentheil, dieser Gedanke ist geeignet,
unser Wertgefühl, unsere Willenskraft
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— durch die Überzeugung, dass wir den
Mittelpunkt der Welt in uns selber
haben — zu steigern. (Dass diese Über-
zeugung keine unbescheidene ist, da, wie
Giordano Bruno sagt, der Mittelpunkt der
unendlichen Welt überall ist, werden spätere
Betrachtungen zeigen.)
Aber da die heroische Welt-Anschauung
ein Mittel unserer geistigen Selbst-
behauptung sein soll, werden wir uns
allerdings dagegen wehren müssen,
dass man uns diesen Mittelpunkt, dass
man uns unser Selbst, das Centrum
unserer allerdings mannigfaltig wechseln-
den und einem Strome vergleichbaren
Bewusstseins-Zustände raube, und eben
hierauf scheint freilich jene wohl allzu
»exacte«, d. h. über den Theilen, in die
sie in wissenschaftlicher Zergliederung es
zerlegt, das lebendige Band
ver-
gessende
psycho-physiologische
Erkenntniskritik beizusteuern, die
das Ich zu einer bloßen »Reductions-Vor-
stellung«, zu einer Vorstellung neben vielen,
und zwar zu einer solchen, der keine
Wirklichkeit entspricht, entwertet. Augen-
scheinlich ist dies die einzige Erkenntnis-
Theorie, die auch der Materialismus,
wenn er seinen naiv-dogmatischen Stand-
punkt verlässt, annehmen kann; denn auch
für diesen ist unser Inneres nichts als eine
äußerliche Aneinanderkettung von Ereig-
nissen, ähnlich der Mittheilung der Be-
wegung, durch die wir in der Außenwelt ein
Element das andere stoßen sehen. Das
eigentliche Charakteristicum des Materialis-
mus finde ich nämlich nicht in seinem
naiven Glauben an die Wirklichkeit des
unklarsten aller Allgemein-Begriffe,
der Materie, sondern in der theore-
tischen
Preisgabe unseres Selbst,
das er in einen bloßen Vorgang oder in
eine Reihenfolge bloßer Vorgänge auflöst.
Dass dieser Materialismus sich mit einem
überspannten Idealismus, richtiger Skepti-
cismus sehr wohl vereinigen lässt, lehrt
die Geschichte der Philosophie zur Genüge.
Praktisch raubt uns der eine wie der
andere das Wertgefühl der Sonder-Existenz,
indem er uns zu einem zufälligen, ver-
gänglichen Product blinder Naturkräfte
stempelt, nicht minder wie der abstracte
Pantheismus, dem das Ich nur eine Welle
im Ocean des Gesammtseins ist, nicht
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