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unserer Besprechung — dass sich gewisse
monumentale Schöpfungen durchaus nicht
dazu eignen, in das Opern- oder
Concert-Repertoire behufs
ge-
läufiger
Wiederholung
einge-
reiht
zu werden. Allerdings sind sie
in hohem Grade dazu berufen, den öffent-
lichen Geschmack zu bilden und zu
heben, aber eben jener außerordentlich
hohe Standpunkt legt auf Grund der durch-
schnittlichen Gewöhnlichkeit sowohl der
Wirkung als auch der Wiedergabe fort-
währende Schwierigkeiten in den Weg.
So stellen Wagners musikalische Dramen
nicht nur an den Musiker, sondern
auch an den denkenden und fühlenden
Menschen so große Anforderungen, dass es
schon einen ganz hervorragenden Künstler
erfordert, damit die Bedeutung jener Typen
sich, in ihrer philosophischen Tragweite
seinem Verständnis, in ihrem symbolischen
Zauber seinen Gefühlen erschließe. Durch
eine schablonenmäßige Wiedergabe, welcher
der Charakter der Wagner’schen Gestalten
in so hohem Grade widerstrebt, wird Das,
was eine solche Leistung uns vorbringt,
nichts als ein ermüdender Koloss! Selbst
wenn wir Lohengrin, Tannhäuser und die
Meistersinger abrechnen, welche unmittel-
bare seelische Berührungspunkte mit uns
haben können, so eignet sich doch der
Tristan fast so wenig als der Parsifal,
und am wenigsten wohl der Ring, für ein
»Repertoire«. Die Umrisse dieser mythi-
schen Cyklen sind derart, dass die künst-
lerische Perspective zu ihren Bestand-
teilen gehört und dass sie ihre aus der Ferne
kommende Wirkung bewahren müssen,
widrigenfalls sie ihre Bedeutung überhaupt
einbüßen. Als »Theater-Norm« be-
schlagnahmt, sind die mythischen
Gestalten des Nibelungen-Ringes
sinnlos, Siegfried und Tristan als
»Tenorhelden« grotesk! Wen gemahnte
es heute nicht an jenen Brief Wagners,
den er, an seinem Ringe arbeitend, an
Liszt schrieb und worin er den Wunsch
aussprach, dieses Werk auf einer dazu
improvisierten Bühne seinen Freunden ein
einzigesmal vorzuführen, um dann Par-
titur und Bretter zu zerstören, nur
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die Erinnerung der künstlerischen That
zurücklassend. So sehr wir nun die Er-
füllung eines so extremen Wunsches
beklagen müssten, so sehr widerstrebt auch
unserem Pietätsgefühl das heutige Ver-
fahren, das uns allgemach der Wagner’schen
Errungenschaften sicher berauben wird.
Und wäre jenem Wunsche nicht wenigstens
die zur Erhaltung der Wagner’schen
Kunst so wesentliche Lehre zu entnehmen,
dass wir, statt ihn so oft und mit immer
geringerem Kräfte-Aufwand aufzuführen,
den Ring sowohl, als den Tristan, wie
bisher den Parsifal, nur alle zwei oder drei
Jahre, gleich den olympischen Spielen,
aber dann auf würdige Weise feiern
sollten? Denn indem wir diese Kolossal-
Standbilder in die Mitte unserer Markt-
plätze rücken, werden sie uns auf ihren
hohen Sockeln nichtssagend und erdrückend,
statt von der Höhe herab ihren erhebenden
Schein auf uns zu werfen. Wie aber
bekanntlich die Römer ihre alten Tempel
stückweise zertrümmerten und die kost-
baren Marmorblöcke aufs Gerathewohl zu
ihren Bauten verwendeten, so werden jetzt
aus den Säulen der Wagner’schen Kunst
so manche Börsentempel errichtet und das
schwere Dach eines gemeinen Bankhauses
darüber gedeckt! In dieser Missgestalt
mögen sie wohl noch eine Weile den
zierlich geputzten Tross der amerikanischen
Damenwelt anlocken, deren dünne culturelle
Schichte kein Ärgernis an der Entartung
nimmt. Diejenigen aber, die der Wagner-
schen Kunst eine erhöhende Wirkung
zuerkennen, fliehen diese modernen Ver-
anstaltungen, in denen sie täglich ver-
loren geht und täglich verdirbt.
Wir können uns der Hoffnung nicht
mehr hingeben, dass einem derartigen
Verfalle Einhalt gethan und den idealen
Forderungen Genüge geschehen wird,
welchen der finanzielle Druck fortwährend
und so erfolgreich Hohn spricht. Wenn
sich daher diesen Worten kein praktischer
Erfolg verheißen lässt, so seien sie
wenigstens Demjenigen zur Ehre nieder-
geschrieben, dessen hohes Streben, dessen
Werk heute von den niedrigsten materiellen
Rücksichten vereitelt und besiegt wird.
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