Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 21, S. 379

Religionsphilosophische Vorträge * Die C-moll-Symphonie* (Th.K. A.)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 21, S. 379

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RUNDSCHAU.

längerer Zeit in der von Albert Réville geleiteten
»Revue de l’histoire des religions« ein eigentlich
religionswissenschaftliches Organ, während in
Deutschland erst vor drei Jahren ein »Archiv
für Religionswissenschaft« gegründet wurde.

Hardy trat am Schlusse seiner Erörterungen
in anerkennenswerter Weise der Annahme
entgegen, dass wissenschaftliche Arbeit, auch
auf religionswissenschaftlichem Gebiete, der
Glaubensüberzeugung Eintrag thun könne, und
erklärte sodann noch, einigen Einwänden in
der nachfolgenden Discussion entgegentretend,
wiederholt, dass er die Cooperation der Katho-
liken mit den andersgläubigen Forschern auf
dem Gebiete der Religionswissenschaft für noth-
wendig halte.

In einem zweiten Vortrage in der philoso-
phischen Section behandelte Prof. Hardy das
Thema »Die psychologisch-ethischen
Hauptrichtungen des Buddhismus
«.
Er deutete am Beginn seiner Erörterungen
darauf hin, welch großes Arbeitsfeld das Gebiet
der morgenländischen und indischen Psycho-
logie noch biete, da zumal die Indologen bisher
durch Publicationen von Werken mit mehr
metaphysischem Inhalt allzusehr in Anspruch
genommen worden seien. Er verwies auf die
psychologischen Werke des Buddhismus, auf
die Pali-Literatur. für deren Publication
die »Pali-Text Society« gegründet wurde und
womit sie in den letzten Jahren sich sehr ver-
dient gemacht hat. Die Entwicklung der
indischen Psychologie betreffend, erklärte der
Redner, dass sie jeden Rest von Animismus
beseitigt, alles auf Bewusstseinszustände (Dham-
mas) reduciert und einen einheitlich durch-
geführten Phänomenalismus als Protest gegen
den Animismus geschaffen habe. Die Dhammas
seien nach Ansicht der indischen Psychologen
durch ihre eigene Natur, kein anderes Wesen,
keine Person sei für sie vorhanden. Der Glaube
an eine geistige Wesenheit werde für unnütz
und wertlos erklärt. Die Außenwelt komme
nur insoferne in Betracht, als sie das sittliche
Wohl der Menschen beeinflusse. Bezüglich des
Pessimismus der indischen Philosophie äußerte
Hardy manche bemerkenswerte Gedanken.
Der Buddhist sah der Wirklichkeit ins
Auge und musste Pessimist sein. Anderseits
aber hielt er fest an dem Glauben an die
Macht der Erziehung und der Cultur des
Willens. Darin sei der Gipfelpunkt der Lehre
des Buddhismus zu suchen, dessen Anweisungen
bezüglich der Concentration des Geistes ein
Beweis für äußerst feine psychologische Be-
obachtung seien. Das aus der Selection hervor-
gegangene Leben, das Freileben, stehe hoch
in den Augen des Buddhisten, dessen Bestreben
darauf gerichtet sei, von der Gewalt, die alle
Wesen bindet, sich durch Überwindung zu
befreien. Das Streben der Buddhisten sei ge-
richtet nach Suka (Wohlsein); auch das Nir-
wana sei in diesem Begriffe in gewissem Sinne
enthalten. Deshalb könne man auch die
buddhistische Ethik als eine hedonistische be-
zeichnen. Der Buddhismus negiere zwar den
Willen zum Leben, insoferne die gewöhnliche

Art von Leben in Betracht komme, er strebe
aber nach einem höheren, idealen Leben. Das
Endziel der buddhistischen Erlösung bleibe
allerdings das Absolute, wo kein Effect mehr
folge, wo weder Gut noch Böse sein könne.
Sein Nirwana sei Friede, Freiheit, ein Jenseits
von »Gut und Böse«. Bemerkenswert sind
Hardys Schlussworte, es sei wohl leichter,
diese Lehren zu tadeln, als ihnen gerecht zu
werden.

Der Verfasser des Werkes »Nirwana«,
P. Dahlmann, hielt einen Vortrag über
den »Idealismus der indischen Philosophie«.
Er legte zunächst dar, wie in der altindischen
Philosophie der wahre Idealismus als tief-
sinnige Speculation über das Wesen Gottes
zu finden wäre. Der Grundfehler der Ausbildung
des indischen Idealismus bestand nach Ansicht
des Redners darin, dass der Gegensatz zwischen
dem Absoluten, Unwandelbaren und der Er-
scheinungswelt derart verschärft wurde, dass
sich die Lehre entwickeln konnte: es gibt nur
absoluten, von der Erscheinungswelt unab-
hängigen Geist, alles andere ist Materie. So
sei es möglich gewesen, dass aus einem
Extrem die materialistischen und nihilistischen
Schulen sich entwickeln konnten, indem sie
von der Annahme ausgiengen, dass die indi-
viduelle Seele, unabhängig von dem über-
weltlichen Geiste, wie alles andere Existierende,
alles aus sich leiste, dass auch das Princip
der Vernunft in ihr liege, und daraus folgerten,
alles gehe aus der Materie hervor, alles wieder
in dieselbe zurück, die Annahme eines abso-
luten Geistes sei überflüssig. — In anderer
Hinsicht ist, wie Redner klarlegte, das meta-
physische Problem zum ethischen über-
gegangen, durch die Erkenntnis der Noth-
wendigkeit, sich dem Strome des stofflichen
Seins zu entreißen. Bemerkenswert ist, wie
Dahlmann gelegentlich hervorhob, übrigens die
Thatsache, dass ursprünglich die Blütezeit
der altindischen Philosophie auch die Blüte-
zeit auf anderen Gebieten war. Redner deutete
auch noch darauf hin, dass die altindische
Speculation sich aus dem Offenbarungsglauben
entwickelte, sich an die Vedas anschloss, und
dass im Brahma Vidya die wissenschaftlich-
methodische Ergründung der im Brahma
wurzelnden religiösen Ideen zu finden sei.

Über das Thema »Moderne Theosophie und
ihr Verhältnis zum Idealismus der indischen
Religions-Philosophie und Mystik« wäre ein
zweiter Vortrag Dahlmanns gewiss will-
kommen gewesen. Wenn auch über die theoso-
phische Bewegung weniger günstig geurtheilt
worden wäre, so hätte man sich durch Be-
handlung derselben wenigstens den Vorwurf
erspart, philosophische und religiöse Strömungen
von hervorragendem, internationalem Interesse
völlig ignoriert zu haben.

MÜNCHEN. Th.

DIE C-MOLL-SYMPHONIE. — In Gustav
Mahler
sahen auch wir Münchener eine Persön-
lichkeit vor uns, der wir jene seltene, einzig

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 21, S. 379, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-21_n0379.html)