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Den Fußpunkt oder Schwerpunkt
unserer Welt-Anschauung können wir also
nur finden, wenn wir das Senkblei unserer
denkerischen Selbstbestimmung nicht in
die Außenwelt, sondern in unser eigenes
Ich vertiefen.
Es wäre wunderbar, wenn nicht schon
andere ernstliche Denker dieselbe Einsicht
zum Ausgangspunkte genommen hätten.
Der bekannteste Fall ist derjenige des
Cartesius, den man oft deshalb in
übertriebener Wertschätzung zum Vater
der modernen Philosophie hat stempeln
wollen; Cogito, ergo sum! Aber Cartesius
konnte unmöglich zu einer heroischen
Welt-Anschauung, wie wir sie suchen,
gelangen. Er war ein einseitiger Intellec-
tualist, ungeachtet seines Vorlebens als
Soldat ein Stubendenker, der die Stuben-
luft der Scholastik athmete. Einseitig be-
tonte er das Denken, ihm lag die bloß
theoretische Betrachtung am Herzen,
und er wurde der Vorläufer jener statt-
lichen Reihe »idealistischer« Denker, auf
die Goethes Wort gemünzt ist vom
»Kerl, der speculiert gleich einem bösen
Thier auf dürrer Heide«; nicht einmal
vom transcendenten Gottesbegriff
konnte er, der doch Giordano Bruno heim-
lich studiert hatte,* sich befreien. Seine
muthigeren, aber ebenso einseitigen Nach-
folger kehrten den Satz: »Ich denke, also
bin ich« um in die noch unzulänglichere
und falschere Behauptung: Sein ist
Denken.
»Cogito, ergo sum! Ich denke, und mithin bin
ich!
Ist das Eine nur wahr, ist es das Andere
gewiss.
Denk’ ich so, bin ich. Wohl! Doch wer
wird immer auch denken!
Oft schon war ich und hab’ wirklich an gar
nichts gedacht.« (Schiller.)
Der abstracte Idealismus, der das
Sein im Denken und weiterhin das Ich
in der Welt oder auch die Welt im Ich
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aufgehen lässt (Schelling, Hegel,
Fichte in seiner ersten Periode), über-
sah, dass der wesentlichste Unterschied
des Ich von der Außenwelt weniger in
der Identität des Denkenden und Ge-
dachten, als vielmehr im Gefühl zu
suchen ist.
»Der getretene Wurm, der sich im Schmerz
krümmt, unterscheidet sein eigenes Leiden ge-
wiss von der übrigen Welt, obgleich er weder
sein Ich, noch die Natur der Außenwelt be-
greifen mag. Aber die vollendete Intelligenz
eines Engels, fehlte ihr jenes Gefühl, würde
wohl scharfe Anschauungen des verborgensten
Wesens der Seele und der Dinge entwickeln
und in lichter Klarheit die Erscheinung ihrer
eigenen inneren Selbstspiegelung beobachten,
aber sie würde nie erfahren, warum sie
auf ihren Unterschied von der übrigen
Welt einen größeren Wert legen sollte, als
auf die zahlreichen Verschiedenheiten der
Dinge überhaupt, die sich ihrer Erkenntnis
ebenso darbieten. So gilt uns das Selbst-
bewusstsein nur für die Ausdeutung eines
Selbstgefühls, dessen vorangehende und
ursprüngliche Lebendigkeit durch die Aus-
bildung unserer Erkenntnis nicht unmittelbar
gesteigert wird; nur der Reichthum und die
Klarheit des Bildes, das wir von unserem
Wesen uns erkennend entwerfen, erhöht sich
im Fortschritt unserer Bildung«. (
Lotze
,
Mikrokosmos, I, S. 281.)
Mit unserem Selbstgefühl aber setzen
wir unseren Selbstwillen. Alles Fühlen,
das entweder Lust oder Unlust ist, ist
bewusste Activität. Nihil aliud sumus quarrt
voluntates, nichts anderes sind wir als
Willen (Wollende), schrieb 1500 Jahre
vor Schopenhauer der philosophische
Kirchenvater Augustinus. Die denkend,
fühlend, wollend in den drei Raum-
dimensionen sich offenbarende Monas oder
Krafteinheit als unser übersinnlicher,
nicht transcendenter, sondern immanenter
Wesenskern ist der Gravitationspunkt
unserer Welt-Anschauung. Wir haben
nicht nach außerhalb der
Wirk-
lichkeit, die wir selbst sind, nach
einem anderen Grunde zu suchen.
Wir sind selbst der Grund und
stehen auf dem Fundament.
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