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ist, und das größte Reich ihr eigen, wollen
wir sie mit dem Namen Madonna ehren.
Die zweite Schwester heißt Mater Suspi-
riorum: Unsere Liebe Frau der Seufzer.
Sie segelt niemals auf den Wolken
und eilt nicht mit dem Winde dahin. Und
ihre Stirne trägt kein Diadem. Und könnten
wir je ihre Augen sehen, sie würden uns
nicht sanft, nicht starr und nicht durchdrin-
gend scheinen. Nur eine Wildnis halb erstor-
bener Träume, ein graues Trümmerfeld ver-
gessener Ekstasen wird uns entgegenschauen.
Doch schlägt sie ihre Augen niemals auf;
ihr Haupt, das ein zerfetzter Turban krönt,
ist immer auf die Brust gesenkt. Sie starrt
die Erde an. Sie weint nicht, kein
Schluchzen ringt sich von ihr los. Un-
hörbar seufzt sie manchmal auf. Ihre
Schwester, Madonna, klagt oft laut und
ringt die Hände, ja erhebt sie drohend
gegen Himmel. Aber Unsere Liebe Frau
der Seufzer schreit niemals auf, klagt
niemanden an, denkt nie an Zorn und
Drohung. Denn sie ist voll Demuth, und
ihre Demuth reicht bis zur Niedrigkeit.
Und sanft ist sie, jener Sanftmuth voll,
die nur die Wesen ohne Hoffnung haben
Zuweilen flüstert sie an Orten, die so
trübe sind, wie sie es immer war, an
Stätten, die zerfallen und zerstört, auf
denen stumm ein letzter Strahl der Abend-
sonne lastet. Sie kehrt bei den Ver-
worfenen ein, den Parias, den Juden,
hockt bei dem Sclaven, der an die Ga-
leere geschmiedet ist, und kauert in der
Finsternis dem liebeleeren, hoffnung-
verlassenen, schmachgeweihten Weibe zur
Seite — zur Seite jedem Gefangenen im
Kerker, zur Seite Allen, die verrathen,
Allen, die verworfen worden, Allen, die
geächtet, Allen, die enterbt sind. Auch sie
trägt einen Schlüssel, doch bedarf sie
seiner kaum. Denn ihr Gebiet liegt unter
den Zelten Sems, liegt bei den Heimat-
losen aller Zonen. Aber ich kenne auch
Männer, die vor der Welt ihr Haupt so
stolz erheben, wie es das Rennthier vor
der Herde thut, und die doch im Ge-
heimen ihr Zeichen an der Stirne tragen.
Nun die dritte Schwester, die jüngste
— doch still! Nur mit leiser Stimme lasst
von ihr mich reden. Ihr Reich ist nicht
groß, doch ihre Macht ist furchtbar. Ein
dreifacher, schwarzer Schleier verhüllt ihr
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Haupt und kann das wilde Licht nicht
tödten, das aus ihren Augen glüht, zu
Mittag und zur Mitternacht, zur Zeit der
Ebbe und der Flut, das wilde Licht auf-
schreiender Verzweiflung. Sie trotzt der
Gottheit selbst. Sie ist die Mutter des
Wahnsinns, die Rathgeberin des Selbst-
mordes Die Madonna naht sich mit
unregelmäßigen, bald schnellen, bald lang-
samen Schritten und stets von tragischer
Schönheit geleitet. Unsere Liebe Frau der
Seufzer gleitet schüchtern und mit Vor-
sicht. Die jüngste der Schwestern aber
fährt plötzlich auf, stürzt heran wie der
wilde Tiger. Sie trägt keinen Schlüssel; denn
will sie zu den Menschen kommen, so
ergreift sie im Sprunge die Thüre, die sie
öffnen muss, und stößt sie krachend ein.
Ihr Name ist Mater Tenebrarum: Unsere
Liebe Frau der Finsternisse.
Dies also waren die Furien, die durch
meine Träume schritten.
Die Madonna sprach mit ihrer geheim-
nisvollen Hand. Sie berührte mein Haupt.
Sie winkte Unserer Lieben Frau der Seufzer
mit dem Finger, und ihre Zeichen, die
der Mensch nur im Traume lesen kann,
mochten wohl heißen:
»Siehe, da ist er, den ich in seiner
Kindheit schon meinen Altären geweiht.
Ihn habe ich besonders erwählt; ihn habe
ich meine Wege geleitet; ihn habe ich
verführt und sein Herz unauflöslich an
das meine gekettet. Durch mich mit
Wünschen und Süchten erfüllt, hat er den
Wurm der Erde angebetet, hat seine
Gebete den wurmdurchwühlten Grüften
geweiht. Geheiligt war ihm das Grab,
liebenswert seine Finsternisse, geweiht seine
Verwesung. Und dir habe ich ihn be-
reitet, liebe, sanfte Schwester der Seufzer!
Nimm ihn an dein Herz und bereite ihn
für unsere zweite schreckensvolle Schwester.
Und du — so wandte sie sich an die
Mater Tenebrarum — nimm ihn dann von
ihr entgegen. Lass dein Scepter schwer
auf seinem Haupte ruhen. Dulde nicht,
dass je ein Weib mit Zärtlichkeit in seiner
Nacht ihm naht. Verjage jene Schwäche,
die man die Hoffnung nennt, und trockne
aus den Balsam jeder Liebe; versiegen
lass den Brunnen seiner Thränen und
fluche ihm, wie du nur fluchen kannst.
Geläutert zur Vollkommenheit im Feuer-
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