Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 22, S. 388

Levana und Unsere lieben Frauen von der Traurigkeit Der vierte internationale Psychologen-Congress (Quincey, Thomas deDeinhard, Ludwig)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 22, S. 388

Text

DEINHARD: DER VIERTE INTERNATIONALE PSYCHOLOGEN-CONGRESS.

ofen seiner Qual, wird er die Dinge schauen,
die ungesehen bleiben sollten; — Schau-
spiele, die voller Abscheu und Entsetzen,
Geheimnisse, die unaussprechbar sind. So
wird er graue Wahrheit lesen, fürchter-

liche, große Wahrheit. So wird er auf-
erstehen vor seinem Tode, und unsere
Sendung ist erfüllt: sein Herz solange zu
quälen, bis seines Geistes ganze Kraft sich
ihm enthüllt und geoffenbart hat.


DER VIERTE INTERNATIONALE PSYCHOLOGEN-CONGRESS.*
Von LUDWIG DEINHARD (München).

»Ist es nicht kindlich und kurzsichtig,
die Masse und Wucht des verborgenen
Seelenlebens gänzlich zu ignorieren?
Sollten wir nicht jetzt soweit gerüstet
sein, dass wir auch in jene Tiefen erfolg-
reich einzudringen versuchen dürfen?«

Prof. Dr. Max Dessoir : »Das Jenseits der
Seele« in der Wochenschrift: »Die weite
Welt« Nr. 2, p. 60.

In den weiten Hallen des Palais des
Congrès auf der Pariser Weltausstellung
wimmelte es im Laufe dieses Sommers
und Herbstes beständig von geschäftigen
Menschen. Männer und Frauen eilten
Thüren suchend an einander vorüber und
ein Congress folgte unmittelbar auf den
anderen. Oftmals tagten verschiedene Con-
gresse gleichzeitig, so dass die vorhan-
denen Räume kaum ausreichten, und die
Verwirrung stieg derart, dass es auf die
aus weiter Ferne herbeigekommenen Theil-
nehmer manchmal den Eindruck machen
musste, als ob das Arrangieren und Orga-
nisieren von Congressen nicht gerade die
stärkste Seite der Herren Franzosen wäre.
Ende August fanden ziemlich gleichzeitig
der internationale Congress der Psycho-
logie und der der Geologie statt. Die
ernst dreinschauenden Psychologen begeg-
neten fortwährend den fröhlichen Gesichtern
der Geologen. Aber nicht bloß hier in
den nüchternen, der Arbeit gewidmeten
Hallen begegnete man sich, auch in den
prächtigen Empire-Sälen des Prinzen Roland
Bonaparte trafen Psychologie und Geo-
logie zusammen, und die Vertreter beider
Wissenschaften konnten gegenseitig ihre
Empfindungen freudiger Überraschung aus-
tauschen, als sie gemeinschaftlich die

gewaltigen Bibliotheksäle des prinzlichen
Palais durchwandelten, ich will nicht sagen
Arm in Arm, aber doch wenigstens beide
sicherlich in gleich gehobener Stimmung.

Damit wollen wir die Geologen ihrem
Schicksal überlassen, um uns im folgenden
mit dem des diesjährigen Psychologen-
Congresses zu befassen.

Als vor vier Jahren in München der
dritte internationale Psychologen-Congress
stattfand, da gieng es trotz der verschie-
denen Forschungs-Richtungen, die unter
den zahlreichen Theilnehmern vertreten
waren, in den altehrwürdigen Räumen
der Münchener Universität durchaus fried-
lich zu. Und es konnte auch nicht anders
sein. Die Psychologie des Occultismus, d. h.
dessen, was Prof. Dessoir (siehe oben)
das verborgene Seelenleben nennt, war
von vorneherein durch das Congress-
Comité vom Programm strengstens aus-
geschlossen worden. Wem diese Maßregel
nicht gefiel, der konnte wegbleiben, und
thatsächlich blieben auch Viele dem Con-
gress fern, die — ob nun mit Recht
oder mit Unrecht, wollen wir für den
Augenblick unerörtert lassen — in dieser
Streichung ihres Specialgebiets einen eigent-
lich nicht mehr ganz zeitgemäßen psycho-
logischen Purismus erblickten. Die Dis-

* Paris, 20.—25. August 1900.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 22, S. 388, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-22_n0388.html)