|
cussionen verliefen infolgedessen vollständig
friedlich und umso friedlicher, als man sich,
wie dies ja immer auf internationalen
Congressen mit ihrem Sprachengewirr der
Fall ist, gegenseitig doch nicht immer so
recht verstand. Und wenn auch damals
einzelne Redner ohne eigentliche actuelle
Veranlassung sich entrüstet über den
»immer weiter um sich greifenden spiritisti-
schen Aberglauben« äußerten, so brauchte
sich dabei niemand getroffen zu fühlen,
niemand gieng das etwas an, denn jeder
Congress-Theilnehmer bezeugte ja schon
durch sein Erscheinen, dass ihm der
Spiritismus nicht gerade ausschließlich
Herzenssache sei. Auch eine etwas schärfere
Debatte über die Beweiskraft des soge-
nannten Census of hallucinations, d. h.
jener internationalen Enquête über die
Erscheinungen der sogenannten Telepathie
war durchaus nicht imstande, den holden
Frieden unter den Theilnehmern des Mün-
chener Congresses irgendwie zu stören.
Dass es dagegen diesmal auf dem Pariser
Congress nicht so ganz einträchtig zugehen
werde, war, wenn man das Programm der
angekündigten und officiell zugelassenen Vor-
träge durchsah, von vorneherein unschwer
vorauszusagen. Die verschiedensten psycho-
logischen Schattierungen, von der sich eng
an die Physiologie anlehnenden, exact
wissenschaftlichen normalen oder positiven
Psychologie, die es nur mit dem tagwachen
Hirnbewusstsein zu thun hat, angefangen
durch alle die Tiefen der Psycho-Pathologie
hindurch bis zu den verwegensten Problemen
der Psychologie des Occultismus, ja der
Metaphysik und des reinen Glaubens —
alles war angemeldet worden und sollte zum
Wort kommen und dies nicht etwa bloß
in streng gesonderten Sectionen, sondern
auch in gemeinschaftlichen, allgemeinen
Sitzungen. Verdient diese Toleranz des
Pariser Congress-Comités einer so jugend-
lichen Wissenschaft, wie der Psychologie
gegenüber nicht alles Lob? Oder ist
etwa die Psychologie als Universitäts-
Wissenschaft schon alt? Man höre doch,
was der Vertreter der Psychologie an der
Universität Breslau, Prof. Dr. Herm. Ebbing-
haus, in dieser Beziehung in der ersten
allgemeinen Sitzung ausführte. »Wir be-
finden uns« — sagte dieser Gelehrte in
seinem Vortrage über »die Psychologie von
|
heute und die vor 100 Jahren« — »gegen-
wärtig in der Psychologie etwa da, wo die
Naturwissenschaft am Ende des XVI. Jahr-
hunderts stand«. Muss es nicht, wenn wir
uns an diesen Ausspruch Prof. Ebbing-
haus’ halten, etwas stürmisch zugehen,
wenn einmal alle Forschungsrichtungen
dieser noch so unreifen Wissenschaft zu
einem Congress und zu gründlicher Aus-
sprache zusammenkommen?
Ehe ich auf diesen Congress selbst
zu sprechen komme, darf ich nicht ver-
säumen, zunächst der hochinteressanten
und außerordentlich instructiven Ausflüge
Erwähnung zu thun, die den Theilnehmern
dieses Psychologen-Congresses geboten
waren. Die Pariser sind bekanntlich —
und das gilt namentlich von den gelehrten
Parisern gegenüber Fremden — äußerst
liebenswürdige Wirte, und bei diesen Aus-
flügen klappte alles brillant. So wird gewiss
die Excursion des Psychologen-Congresses
nach dem Dr. Sollier’schen Sanatorium für
Nervenkranke und Morphinisten in Bou-
logne sur Seine und wohl noch mehr der
hochinteressante Besuch des Irrenasyls von
Villejuif mit seinen Vorträgen und Vor-
führungen der verschiedensten Formen
des Wahnsinns allen Theilnehmern in
angenehmer und dankbarer Erinnerung
geblieben sein.
Das Comité hatte den Congress in
sieben Sectionen eingetheilt:
I. Psychologie in ihren Beziehungen
zur Anatomie und Physiologie;
II. Introspective Psychologie in ihren
Beziehungen zur Philosophie;
III. Expérimental-Psychologie und Psycho-
Physik;
IV. Pathologische Psychologie und Psy-
chiatrie;
V. Psychologie des Hypnotismus, der
Suggestion und damit zusammen-
hängende Fragen;
VI. Sociale und criminelle Psychologie;
VII. Animale und vergleichende Psycho-
logie, Anthropologie und Ethnologie.
Ob sich diese Eintheilung wirklich
praktisch bewährt hat? Das ist eben die
Frage. Mir wenigstens will es dünken,
wie wenn die Bezeichnungen der einzelnen
Sectionen nicht durchwegs glückliche zu
|