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nennen wären. »Was sind denn das für
Fragen, die mit dem Hypnotismus und
der Suggestion zusammenhängen sollen?«
So fragen sich ihrerseits die Theilnehmer.
Wenn sich das Comité denn doch einmal
entschlossen hatte, auch derjenigen For-
schungsmethode officiell das Wort zu
gestatten, die direct auf das occulte oder
verborgene Seelenleben gerichtet ist, warum
richtet man ihr dann nicht eine eigene
Section ein, warum lässt man sie dann
ruhig Gefahr laufen, von einer anderen
Section vielleicht nicht gerade sanft vor die
Thüre gewiesen zu werden? Nicht minder
unklar ist auch die Bezeichnung der Sec-
tion II: Introspective Psychologie in ihren
Beziehungen zur Philosophie. Ja, zu welcher
Philosophie? Zu der des Materialismus
oder der des Unbewussten oder gar der
des Vedanta?
Auf der Liste der Congress-Mitglieder
las man circa 340 Namen, Gelehrte der
verschiedensten Nationalität, mehrere Ame-
rikaner und einige Asiaten. Ferner eine
größere Zahl weiblicher Doctores philo-
sophiae oder medicinae, von denen mehrere
Vorträge hielten. Auf die circa 120 gehal-
tenen Vorträge und kürzeren Mittheilungen
kann natürlich hier, wo es sich doch bloß
um eine Schilderung allgemeiner Eindrücke
und eine kurze Charakterisierung des Con-
gresses im Vergleich zu seinem Münchener
Vorgänger handelt, nicht eingegangen
werden. Dem in kurzem zu erwartenden
officiellen Congressbericht, den »Annales
des sciences psychiques«, der »Revue de
Psychologie clinique et thérapeutique«
und ähnlichen wissenschaftlichen Zeit-
schriften muss es überlassen bleiben, die
einzelnen Vorträge selbst zu bringen. Wir
wollen uns hier bloß mit den von Prof.
Th. Ribot, Herausgeber der Pariser »Revue
philosophique« und I. Präsident des
Congresses, geleiteten sechs allgemeinen
Sitzungen beschäftigen.
Der Hauptredner der ersten
allge-
meinen
Sitzung war nach der officiellen
Einleitung der bereits erwähnte Breslauer
Gelehrte Prof. Dr. H. Ebbinghaus. Er
nannte — ob mit Recht, will ich dahingestellt
sein lassen — das XIX. Jahrhundert das Jahr-
hundert der Psychologie und schilderte in
beredten Worten die allmähliche Ent-
wicklung dieser Wissenschaft während
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der letzten hundert Jahre, ihre periodische
Literatur, die lange Reihe ihrer hauptsäch-
lichsten Vertreter, den gewaltigen Unter-
schied zwischen ihrer früheren rein subjec-
tiven und ihrer heutigen experimentellen
Methode, und den heutigen internationalen
Charakter dieser Wissenschaft, mit dem
Streben nach einer internationalen Termino-
logie, während in früheren Tagen jeder
Psychologe sozusagen seine eigene Sprache
redete und keiner den andern eigentlich
recht verstand.
Die zweite allgemeine Sitzung
zeichnete sich durch eine interessante
Demonstration aus. Der Vicepräsident Dr.
Ch. Richet, Professor der Physiologie an
der Universität Paris, stellte dem Congress
einen Fall von »précosité musicale«, das
heißt ein musikalisches Wunderkind, vor,
und zwar die in der Presse seither viel-
genannte kleine Spanierin Pepita Ariola.
Es ist dies ein heute 3 Jahre, 9 Monate
altes Kind, das, wie Prof. Richet ausführte,
schon mit zwei Jahren, Andere nachahmend,
Clavier zu spielen begann. Von den beiden
Eltern besitzt keines besondere musikali-
sche Anlagen. Die Kleine, die einen
äußerst lebhaften, intelligenten Eindruck
macht, trug dann auf dem mitgebrach-
ten eigenen Pianino mit einer in An-
betracht der kleinen Fingerchen bewun-
derungswürdigen Technik einige Stücke,
zum Theil eigener Composition, vor, wobei
namentlich ihre kräftige Betonung, über-
haupt das Ausdrucksvolle ihres Vortrages
auffiel. Das entzückte Auditorium spendete
rauschenden Beifall, die Kleine klatschte
ganz vergnügt mit, und die ernsthaftesten
Psychologen schüttelten verwundert
lächelnd die Köpfe.
Nach diesem musikalischen Intermezzo
trat zunächst der indische Wander-Redner
J. C. Chatterji vor, um, an das soeben
Gehörte anknüpfend, auf die uralte Lehre
von der Palingenesie oder Wiederverkörpe-
rung hinzuweisen, indem er ausführte, dass
eine solche außergewöhnliche musikalische
Frühreife nach indischer Anschauung ver-
nunftsgemäß sich nur durch voraus-
gegangene Schulung in einem früheren
Erdenleben erklären lasse. Obwohl selbst
von der tiefen Wahrheit dieser Lehre
durchdrungen, bin ich doch der Ansicht,
dass man unseren heutigen Gelehrten
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