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fehlt — stets männlich, gentlemanlike, so kampf-
rüstig und verwundend sie auch sein mag —
ist so recht eine Satire des Herzens, möchte ich
sagen. Das blühende Pathos seines Stils, der
im übrigen außerordentlich, ja oft furchtbar
und unerbittlich sachlich sein kann, dieses
Pathos mit seinem Merkmal schlichter Größe
vervollständigt den dichterischen Wert des
Buches. In allem übrigen ist es eine Streit-
schrift, wie sie sich den unvergänglichsten
der Weltliteratur zugesellt; nur, dass den
wenigsten bei aller Treffsicherheit zugleich so
viel Güte und unbeirrbare Menschenliebe eigen
ist. Eine Streitschrift und zugleich eine Selbst-
biographie. Denn Max Havelaar ist Multatuli
selbst, diese Tine ist seine Tine, diese Colonial-
beamten und alle sonstigen Personen des
Romans sind aus der Wirklichkeit auch oft
direct bei Namen genannt.
Die übrigen Werke Dekkers zeigen,
wo sie nicht lyrisch oder dramatisch
sind, meist einen Mittelcharakter zwischen
Novelle und Feuilleton. Ich verweise
auf »Wer unter euch ohne Sünde ist«,
»Adele Pluribus«, »Seekrankheit« u. a.,
die sich meist in seinem aphoristischen
Werke »Ideen« eingefügt finden. Als
Feuilletonist gehört er zu den hervor-
ragendsten der Zeit. Nur trägt sein Feuil-
leton — in allem übrigen sonst ragt er
über die Enge des holländischen National-
charakters hinaus — zuweilen den Cha-
rakter einer gewissen holländischen Be-
häbigkeit und einer gesprächigen, um-
schweiffrohen Art, wie sie allerdings der
damaligen Plauderkunst überhaupt noch
eigen war: ich erinnere nur an zwei her-
vorragende Feuilletonisten in dem da-
maligen Deutschland, an Bogumil Goltz
und Alexander Jung, Parteigänger und
Zeitgenossen Carl Gutzkows und des
»Jungen Deutschland«. Nur bei Heine,
der ja freilich mit dem französischen
Feuilleton in intimer Beziehung stand,
trägt das damalige Feuilleton bereits eine
ausgeprägtere moderne Nuance. — Auch
diese Werke Dekkers sind mit seinen
Lebensschicksalen im engsten und in-
timsten Zusammenhange. Alle die Per-
sonen, von denen sie handeln, sind dem
Dichter begegnet und mit seinen Schick-
salen auf das innigste verknüpft. Noch
eine hervorragende Begabung zeigen diese
Schriften: die einer glänzenden Rhetorik;
und ich kenne keine Rhetorik, die in solch
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ungewöhnlichem Maße eine Rhetorik des
Herzens wäre.
Die »Ideen« und »Parabeln« zeigen alle
den prächtigen Mutterwitz der genialen Persön-
lichkeit — in einer specifisch holländischen,
aber modern-nuancierten Färbung; sie zeigen
die heitere, leichte Beweglichkeit eines klugen,
fröhlichen und weltgewandten Geistes, dessen
Fülle selbst die herbsten Schicksalsschläge
und bittersten Enttäuschungen nicht zu er-
sticken vermochten (gibt es eine schönere
Tugend?), eine Fülle und Heiterkeit, die Mul-
tatuli im besten Sinne zu Dem machen, was
Nietzsche so schön einen »guten Tänzer«
nennt. Zugleich zeigen die Parabeln jenen harten
und starken Wirklichkeitssinn, jenen Sinn für
das Unbarmherzige des struggle for life und
Fatums, der eigentlich je und je allen hervor-
ragenden Geistern eigen war; jenen Sinn für
die rauhe Wirklichkeit der Lebensthatsachen,
der bei schwächeren Seelen zum Pessimismus
wird, dessen ätherscharfes Höhenklima nur
die Großen und ganz Großen mit männlich-
rüstiger Heiterkeit und jenem Lachen ertragen,
das alle Schrecken von Leben und Tod über-
wunden hat
Ein ganz wunderliches Buch sind
auch die 1861 entstandenen »Liebes-
briefe« (»Minnebrieven«). Es ist ein fin-
gierter Briefwechsel Max Havelaars, des
Helden seines Romans, mit Tine und
einer gewissen Fancy. Diese Fancy ist
der Genius des Weiblichen, ist das »Weib
an sich«, ist die Gauklerin, Trösterin und
holde Nasführerin Phantasie, die Schönheit;
sie ist zugleich aber wohl auch Dekkers
nachherige zweite Frau Mimi, jene junge
Lehrerin, von der schon oben die Rede war.
Das Buch ist vor allem wieder ganz
Persönlichkeits-Document. Da ist Politik, Liebe,
Alltag, Traum, Prosa und Lyrik, Leid und
Aufschwung, äußere, oft nur zu bittere Noth
und unversiegbare Fülle innerer Heiterkeit
und Elasticität; da ist Humor, Satire, Friede
und Kampf; da ist Ethik, Ästhetik und
Philosophie; da ist wieder dieses sein neues,
fröhliches Evangelium von der Tugend des
Genusses und der Liebe. Da ist der starke
Eigene, die selbstherrliche Individualität und
der Menschenfreund, der Altruist à outrance.
Da ist der »gute Tänzer« mit seinem leicht-
sohligen Spieltrieb. Ein leidenschaftlich-
bewegter, sehr sensibler, temperamentvoll
warmblütiger, elliptisch-interjectioneller Stil,
oft außerhalb jeder traditionellen Ästhetik
und dennoch ganz bezaubernd, ganz suggestiv.
Da sind die »neun Geschichten von der
Autorität«, auf die ich besonders verweise;
da ist eine ethische Betrachtung: »Des
Menschen Beruf ist, Mensch zu sein«
— »Wer euch Selbsterniedrigung anpreist als
Tugend, der ist ein Betrüger«; da ist ein
Gedicht über die Kreuzigung Christi; da sind
Documente, wie die Javaner von der hol-
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