Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 24, S. 422

Im Hause des Richters Das Licht und die Inscenierung (Wilde, OscarAppia, Adolphe)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 24, S. 422

Text

APPIA: DAS LICHT UND DIE INSCENIERUNG.

riethest du vor Sonnenuntergang. Dein
Feind, der dich verschonte, war dir
feil um einen Silberling, und der dir
Liebe gab, dem gabst du Wollust —
Und der Mensch antwortete und sagte:
Also that ich — Und Gott schloss
des Menschen Lebensbuch und sagte:
Fürwahr, du sollst zur Hölle — ja
ich schicke dich zur Hölle —

Und der Mensch rief aus: Das
vermagst du nicht! — Und Gott sagte
zu dem Menschen: Warum vermöchte
ich nicht, dich in die Hölle zu schicken,
und aus welchem Grunde?

Weil ich immerdar in der Hölle
gelebt habe. — Und es war Schweigen

im Hause des Richters — Und nach einer
Weile hub Gott an und sagte zu dem
Menschen: Da ich dich nicht zur Hölle
schicken kann, schicke ich dich in den
Himmel — ja, in den Himmel —

Und der Mensch rief aus: Das ver-
magst du nicht! — Und Gott sagte zu
dem Menschen: Warum vermöchte ich
nicht, dich in den Himmel zu schicken,
und aus welchem Grunde?

Weil ich nun und nimmer mir ihn
denken könnte.

Und es war Schweigen im Hause
des Richters. — — —

DAS LICHT UND DIE INSCENIERUNG.
Von ADOLPHE APPIA (Rom).*

Die Partitur hat nur einen Weg,
auf der Bühne in sichtbare Erscheinung
zu treten, und zwar durch den Dar-
steller. Ohne ihn gibt es kein Drama,
und wenn er nicht auf die übrigen
Factoren der Darstellung einwirkt, so
steht die Inscenierung dem Drama
fremd gegenüber. Was ihm der poetisch-
musikalische Text anvertraut hat, über-
setzt er der Aufstellung, der Beleuchtung,
der Malerei, in eine ihnen verständliche
Sprache: er ist der Dolmetsch der Musik
für das unbelebte Bild.

Alle Begriffe, die auf dieses unbelebte
Bild nicht übertragbar sind, bleiben also,
ohne sich weiterhin verbreiten zu können,
am Darsteller haften. Nun kann aber die
Menge dieser Begriffe eine ganz ver-
schiedene sein, und sie zu bestimmen,
liegt allein in der Hand des Wort-Ton-
dichters: je mehr er sich an unseren Ver-
stand wendet, je mehr er sich dem Aus-
gestalten einer rein innerlichen Handlung
hingibt, umso weniger wird die Musik
auf das scenische Leben einwirken können.
Denn im ersten Fall entzieht der Dra-
matiker der Inscenierung einen bedeutenden

Theil der Ausdrucksfähigkeit, welche die
Musik von ihr fordert, und zum Ersatz
bleibt ihr ein nur sehr geringer Grad von
begrifflicher Bedeutung. Im zweiten Falle
gibt er dem Spiel des Darstellers einen
rein reflexen Charakter und hindert ihn
folglich, die unbelebten Factoren mit in
seinen Ausdruck hereinzuziehen. Da aber
der Dramatiker in keiner Weise gebunden
sein darf, sondern es ihm überlassen
bleiben muss, wie er mit seinem Texte
schalten, wie er die Verhältnisse von
Dichtung und Musik bemessen will, so muss
die Inscenierung eine dementsprechende
flüssige Beweglichkeit erhalten: sie darf
nicht in eine gleiche unveränderlich starre
Form festgebannt sein, indes die Partitur
aus einer Form in die andere hinübergleitet.

Ich habe gesagt, dass ein Antagonismus
bestehe zwischen dem Princip, welches
die begriffliche Ausgestaltung des scenischen
Schauspiels leitet, und dem Princip, welches
der Ausdrucksform desselben zugrunde
liegt. Wie könnte man nun die beiden
Principien abwechselnd walten lassen, ohne
die der Aufführung unerlässliche Ein-
heitlichkeit zu zerstören?

* Deutsch von Elsa Prinzessin Cantacuzène.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 24, S. 422, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-24_n0422.html)