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Der wunde Punkt, zu dem wir hier
gelangen, hat nichts mit unseren modernen
Bühnenaufführungen zu thun, und der Leser
ist deshalb vielleicht auch nicht in der
Lage, die praktische Tragweite der Sache
voll zu erfassen. Deshalb ist es nothwendig,
ehe wir an die nachfolgende technische
Studie herantreten, zu untersuchen, ob
nicht die Natur des Wort-Tondramas das
vermittelnde Wort zwischen den beiden
feindlichen Principien zu sprechen vermag,
was uns auch viel genauere Anhaltspunkte
über den der neuen Inscenierung eigen-
thümlichen Charakter geben wird.
»Die Musik an sich und durch sich
allein drückt niemals die Erscheinung aus,
sondern das innere Wesen aller Er-
scheinung« (Schopenhauer). Um dem Aus-
druck die nöthige Bestimmtheit zu ver-
leihen, bedarf deswegen der Musiker des
Dichters. Anderseits ist, wenn eine dra-
matische Handlung die Musik nicht ent-
behren kann, um sich kundzuthun,
damit schon gesagt, dass in dieser Hand-
lung die Entwicklung der zufälligen Motive
(»Erscheinungen«) hinter dem Gesammt-
ausdruck ihres inneren, rein menschlichen
Gehaltes (»dem innersten Wesen der Er-
scheinung«) zurücktreten muss. Inwieweit
diese Nebenmotive von der Dichtung fest-
gehalten und ausgestaltet werden, hängt
also ganz von der für die Mittheilung der
dramatischen Handlung nothwendigen In-
tensität des musikalischen Ausdrucks ab.
Steigert sich diese Intensität, so wird die
Zufälligkeitsbedeutung der Erscheinung fast
gänzlich aufgehoben; verringert sie sich,
so wird damit für den Augenblick die
Tragweite des musikalischen Ausdrucks
begrenzt, damit das Drama sich unmittel-
barer an unseren Verstand wenden könne.
Das Verhältnis, in welchem der musi-
kalische Ausdruck und der begriffliche
Sinn der Dichtung zu einander stehen,
ist selbstverständlich ein ins Unendliche
wechselndes. Aber von unserem Stand-
punkt aus ist es bezeichnend für dieses
Verhältnis, dass, wie groß auch das
Übergewicht der Dichtung über die Musik
(oder besser gesagt: des begrifflichen
über das Ausdrucks-Element) vorübergehend
sein möge, die Musik dennoch stets ihren
beherrschenden Einfluss bewahrt. Ja, die
Dichtung kann in der That rechtmäßiger-
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weise nichts weiter auf die Bühne bringen,
als das Gleichnis, das andeutende Zeichen
(das Signum). Alles, was man diesem
hinzufügt, hängt von dem eigenmächtigen
Willen des Autors und des Inscenierers
ab. Die Musik dagegen überträgt sich,
wie wir wissen, selbst auf die Bühne und
erhebt dort durch organische Gesetze den
Ausdruck zum Herrscher. Wie gering
auch für den Augenblick ihr Antheil am
Drama sein möge, schon die Thatsache
allein, dass sie nicht abdanken, d. h. dass
sie nicht aufhören kann, Musik zu sein,
schon diese Thatsache allein entzieht dem
Autor und dem Inscenierer jede Freiheit
persönlicher Initiative. Denn der dar-
stellerische Ausdruck ist an sich unend-
lich höher geartet, als irgendwelche Be-
thätigung des Zeichens, und zudem wird
die Zahl der rein verstandesfasslichen Be-
griffe, welche ein solches Drama auf die
Bühne bringt, schon durch das Hinzu-
ziehen der Musik bedeutend vermindert.
Wenn sich das Verhältnis zwischen
Dichtung und Musik in der Partitur, also
sowohl auf Kosten der begrifflichen, wie
auf Kosten der Ausdrucks-Elemente, ver-
schieben kann, so ist dies auf der Bühne
keineswegs nach beiden Richtungen
möglich. Verzichtet der Dramatiker in
seiner Eigenschaft als Tondichter auf die
Ausführung zahlreicher Nebenmotive, damit
er das innerste Wesen einer beschränkten
Anzahl von Erscheinungen zum Ausdruck
bringen könne, so wird man bei der In-
scenierung seines Bühnenwerkes in gleicher
Weise die begrifflichen Zuthaten zu Gunsten
des Ausdrucks möglichst einschränken
müssen.
Einige Beispiele mögen das Gesagte
erläutern: Gesetzt, die Dichtung erfordere
von der Inscenierung, sie solle die Kammer
eines Handwerkers, den Säulengang eines
maurischen Palastes oder den Saum eines
Kiefernwaldes (oder jedes andere bestimmt
begrenzte Bild) auf der Bühne zur Dar-
stellung bringen. Soll das geschaute Bild
an Ausdrucksfähigkeit mit den musikalischen
Ausdrucksmitteln sich messen können, so
werden wir diesem Ziel nicht dadurch
näher kommen, dass wir die Gegenstände
des besonderen Handwerks, die maurischen
Motive, die botanischen Kennzeichen der
Kiefer häufen. Die Musik drückt weder
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