Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 24, S. 440

Aischylos und das Burgtheater Maurice Maeterlinck: Drei mystische Spiele* (Rappaport, FelixSchlaf, Johannes)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 24, S. 440

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BÜCHER.

das Licht der intuitiven Erkenntnis; in
diesem Sinne hatten ihn bereits die
Orphiker gekannt. — Von all diesem hatte
wohl weder der Übersetzer, noch der Be-
arbeiter eine Ahnung. Die Unzulänglich-
keit ihrer Darbietungen wurde nur durch

die vollkommene Hilflosigkeit der Regie
übertroffen; als zum Schlusse einige
schwärzlich bemalte Komiker sich für
Erinyen ausgaben, glaubte man sich zu
Barnum und Bailey versetzt.* —.—

* Wir kommen auf die Orestie noch ausführlich zurück. — D. RED.

BÜCHER.
Von JOHANNES SCHLAF (Berlin).

Maurice Maeterlinck: Drei mysti-
sche Spiele. Deutsch von Oppeln-
Bronikowski
. Autorisierte Ausgabe.
Die sieben Prinzessinnen. Alladine
und Palomides
. Der Tod des Tinta-
giles. Verlegt in Leipzig bei Eugen
Diederichs
. 1900. 104 Seiten.

Ich sah kürzlich auf der Berliner
Secessionsbühne eine Aufführung der Studie
»Interieur«. Ich bewunderte die große und
individuelle Kunst Maeterlincks, uns, man
kann wohl sagen, direct in die Seele
des Menschen hineinblicken zu lassen und
uns mit dem ganzen, eigenartigen Schauer
eines so kühnen und verwegenen Blickes
zu umspinnen. Indirect vermochte jeder
große Dichter und Dramatiker das wohl
bereits vor ihm, aber noch keinem gelang
es wohl in dieser besonderen, persönlichen,
in mancher Hinsicht unerhörten Weise.
Es mag ungesund sein, und was sich noch
alles dagegen sagen ließe: aber der ent-
schiedene, naturnothwendige Drang unserer
modernen Kunst zur Intimität musste mit
logischer Consequenz eine derartige Kunst-
erscheinung wie das Maeterlinck’sche Drama
hervorbringen. Der Gegensatz der redenden
Personen im abenddunklen Garten und die
stumme Familie drinnen hinter den Fenster-
scheiben im lampenhellen Familienzimmer;
die Verhandlung im Garten mit ihrer
schicksalsschweren Beziehung zu den
Menschen im Zimmer: das gab einen
Blick in das Unbewusste und Ahnungs-
volle des Seelenlebens jener stummen Per-
sonen, der direct war, und bei allem
Schauer, mit dem er ängstigte, doch auch

etwas von der Größe der Tragik hatte.
Und die Kunst, die Technik, mit der solche
Wirkungen erreicht wurden, war einzig
und die organischeste, angemessenste, die
in solchem Falle wohl denkbar. Freilich
engte sie durch die Einseitigkeit ihrer
Richtung und ihres Vorwurfes; freilich
war so vieles zu geistreich, zu sehr mit
dem rechnenden Verstand erreicht, um
durchaus wahr zu sein. Und dies Lob
und dies Bedenken nun wären auch gegen
diese drei vorliegenden »mystischen Spiele«
zu richten, deren Bekanntschaft uns
Deutschen jetzt der verdienstvolle Oppeln-
Bronikowski machen lässt. Das erste und
dritte Stück hat noch etwas von den über-
triebenen Schauer-Effecten der ersten
Dramen Maeterlincks, um derentwillen man
ja wohl den einzigen Namen Shakespeare
an ihm missbrauchte. Indessen sehen wir
auch in ihnen bereits diese crassen Wir-
kungen veredelt durch eine meisterliche
Psychologie; die intimere Psychologie des
Modernen, die freilich leider manches Merk-
mal der Decadenz trägt und Neigung zeigt
zu Geschäftsfinesse und Sophistik, und die
trotz ihrer beabsichtigten Tiefdringlichkeit
eine pessimistisch-melancholische Grund-
nuance nicht verhehlen kann. Das beste
der drei Stücke ist »Alladine und Palo-
mides«. Es hat bereits etwas von der
edlen Schlichtheit und der Marmorschönheit
der Antike, eine Sprache mit einer edlen,
leise polychromischen—möcht’ ich sagen —
Behandlung, eine leise Andeutung von
Colorit. Das ist auch in den Charakteren,
die über das Marionettenhaft-Abstracte

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 24, S. 440, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-24_n0440.html)