Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 2, S. 44
Text
Alladine.
Ich bin nie über diese Brücke gekommen.
Palomides.
Sie führt in den Wald. Man geht da selten hinüber.
Lieber macht man einen grossen Umweg. Ich glaube, man
fürchtet sich davor, weil die Gräben an dieser Stelle tiefer
sind als anderswo und weil das schwarze Wasser, das von
den Bergen herabstürzt, schauerlich zwischen den Mauern
sprudelt, ehe es sich ins Meer ergiesst. Es grollt dort immer;
aber die Wälle sind so hoch, dass man es kaum wahrnimmt.
Es ist das der verödetste Flügel des Schlosses. Aber von dieser
Seite hier ist der Wald schöner, älter und grösser als alle
Wälder, die Ihr gesehen habt. Er ist voll seltener Bäume
und voll wildwachsender Blumen. — Kommt Ihr?
Alladine.
Ich weiss nicht Ich fürchte mich vor dem grollenden
Wasser.
Palomides.
Kommt, kommt; es grollt ohne Grund. Seht doch Euer
Lamm; es blickt mich an, als wollt’ es kommen Komm’,
komm’
Alladine.
Ruft es nicht Es wird entrinnen
Palomides.
Komm’, komm’.
(Das Lamm entrinnt Alladinens Händen und kommt hüpfend zu Palomides, gleitet
aber auf der geneigten Fläche der Zugbrücke aus und rollt in den Graben.)
Alladine.
Was hat es gethan? — Wo ist es?
Palomides.
Es ist ausgeglitten! Es zappelt mitten im Wirbel. Blickt
es nicht an. Da ist keine Hilfe.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 2, S. 44, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-02_n0044.html)