Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 2, S. 50
Text
Erzählung von Fjodor Ssologub (Petersburg).
Autorisirte Uebersetzung von Alexander Brauner. I.
Serjoscha fühlte sich beleidigt. Das zwang ihn, sich wie immer
unschön in seinem Knabenanzug zusammenzuschnüren, in dem kurzen
und schmalen Anzug, den Serjoscha nicht liebte und nicht tragen
konnte; seine Bewegungen darin waren ungeschickt und schwerfällig.
Sein Herz schlug ängstlich und qualvoll, und er blickte mit den bösen
schwarzen Augen durch die bunten, duftenden Blumen auf den Zaun
der Villa, wo sie — Serjoscha, Papa und Mama — wohnten. Beim
Thore stand ein Wagen. Mama wollte wegfahren und plauderte lustig
mit fremden Herren, welche alle lang und ungenirt und, wie es Ser-
joscha schien, ganz narrenmässig gekleidet waren. Und der Vater war
auch mit ihnen
Mama sagte soeben zu Serjoscha, indem sie ihn beim Abschied
küsste: »Ah, mein Liebling, du willst mir etwas erzählen? Nun warte,
ich komme bald, dann werden wir viel, viel reden können, auch von
den Sternchen.«
Serjoscha hörte die unaufrichtigen Töne aus Mamas Stimme
heraus und wusste, dass es nur so gesagt war. Mama war so schön
gekleidet, roch so süss nach Parfüm — aber das ärgerte Serjoscha.
»Er ist bei mir ein Phantast,« sagte Mama. »Denken Sie, gestern
lallte er mir etwas von den Sternen, verstehen Sie, etwas Kindliches,
Naives, aber wirklich Poetisches. Er wird bei mir ein Künstler werden,
Sie werden sehen!«
Die Gäste lachten und Papa lachte, ohne die Cigarre, die beim
Lachen herumbaumelte, aus dem Munde zu nehmen. Dann gingen Alle
fort, nur Serjoscha blieb zurück. Und. jetzt stand er mitten im Garten
und blickte zornig dorthin, wo Mama war.
Als Mama wegfuhr, war das blasse, jedoch volle Gesicht Serjo-
schas nicht mehr böse, sondern bange, und er ging ins Haus. Das
Holzhaus mit dem Mezzanin war so schön, und die Blumen auf den
Fenstern und dem Balkon waren so bunt und duftend, und die Schling-
gewächse, welche die Balkonpfeiler umgaben, waren so grün, dass
Serjoscha förmlich Angst bekam — er fühlte sich hier fremd — all dieses
Grelle kam ihm finster und sonderbar vor. Er wollte die Zimmer nicht
betreten, aus denen er sich, er fühlte das, heraussehnen würde trotz
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 2, S. 50, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-02_n0050.html)