Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 105
Text
schwornen der neuen Aera der Justizpolitik den entschieden-
sten Widerstand entgegengesetzt hätten. Damals erwies sich,
wie unerlässlich die Geschwornengerichte in Oesterreich sind.
Sie wurden auch bald genug suspendirt (1883).
Eine der interessantesten unter den Gerichtsverhand-
lungen jener Tage spielte sich in Leoben ab. Die Alpen-
länder waren der radicalste Flügel der Propaganda geworden,
die inzwischen ihr System, ihre Presse, ihren Fonds und in
Wien ihren natürlichen Mittelpunkt gefunden hatte. Die
Männer dort haben etwas von dem Eisen ihrer Berge im
Blute.
Die Staatspolizei hielt an der Behauptung fest, dass
alle Arbeiterdistricte Oesterreichs damals von einem dichten
Netz geheimer, aneinander gegliederter Clubs umsponnen
waren; die Leitung wurde in den Hauptstädten jener Bezirke
vermuthet. Jede dieser Städte hatte ihren Hochverrathsprocess
und nahezu überall mit demselben Misserfolg der Anklage.
Leoben, als Mittelpunkt der nordsteierischen Eisenindustrie,
kam ziemlich spät an die Reihe. Auch hier soll eine ge-
heime hochverrätherische Verbindung existirt haben, und um
sie aufzudecken, zu vernichten und zugleich die Rädelsführer
zu strafen, wurde fünf Montanarbeitern von Obersteier der
Process gemacht, der nach dem ersten Angeklagten »Process
Schwarzelmüller« genannt ward. Es waren fünf blutjunge
Leute, insgesammt intelligent, temperamentvoll, herzensgut.
Neun Monate waren die armen Jungen in Untersuchungshaft
gesessen, während von Staatsanwaltschaft und Polizei fieber-
haft gearbeitet wurde. Hochverrathsprocesse waren damals
jüngste Mode, und Leoben wollte natürlich nicht zurück-
stehen. Berge von Acten hatten sich angesammelt, dazu
eine Literatur von gedruckten Pamphleten, anarchistischen
Zeitungen, mit denen Obersteier überschwemmt worden war.
Die Verbreitung aller dieser Druckschriften wurde nun den
Angeklagten zur Last gelegt. Begründet wurde diese An-
schuldigung vor Allem mit der notorisch agitatorischen
Thätigkeit der Angeklagten. Dieses Argument erschien wohl
selbst der Anklagebehörde zu hinfällig und hätte leicht mit
der Erwägung entkräftet werden können, dass notorische
Agitatoren, das heisst also Menschen, auf welche die Polizei
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 105, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-03_n0105.html)