Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 110

Hauptmann’s neuestes Bühnenwerk (Schik, F.)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 110

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110 SCHIK.

kühnheit seiner Zukunftspläne. Er will einen Sonnentempel
bauen, von dem aus eine Glocke der Menschheit Befreiung
von allen Uebeln läuten soll. Rautendelein, die Elfe, die alle
guten und bösen Keime in sieht vereinigt, wird seine Weg-
weiserin. Nicht dem starren Bösen, wie Faust, hat er sich
verschrieben, sondern den Naturkräften, die von einer so
unermesslichen Höhe aus geleitet werden, dass sie sich nur
als kleine Kobolde im Erdspiegel wiedermalen und den
Menschen irreführen. Rautendelein, die verkörperte Natur,
ist ihnen gewachsen. Die Erdgestalten, die dem Glocken-
giesser bisher im Leben nahegestanden, Weib, Kind und
Freunde, liegen nun weit hinter ihm, unten im Thale, ver-
sunken wie die Glocke im See. Für das Werk, das er nun
vor hat und das weit in die Zukunft hineinreichen und den
Zukunftsmenschen dienen soll, kann er, der auf dem Berge —
dem Gipfel seiner Entwicklung steht, von der Gegenwart
keine Förderung erhalten, die ewige Natur soll sie ihm bieten;
seine Verbindung mit ihr gebiert die Phantasiegestalten des
Märchens. Aber ein menschliches Geschöpf, welches sich
zu nahe an sie heranwagt, muss am menschlichen Schaffen
verzweifeln, das im Vergleich mit dem grossen All stets nur
kleinliche Werke hervorzubringen vermag. Wer mit der
Natur wetteifern und sie für alle Zeiten besiegen will, muss
unterliegen. Der Kampf des Menschen mit dem Menschen
kann in fernen Zeiten enden, der Kampf des Menschen mit
der Natur niemals. Nur bleibt der Fleck Erde, wohin
er einmal seinen Fuss gesetzt, in seiner ursprünglichen
Natur verstümmelt; die Elfe als freies Naturwesen sinkt mit
den Brandmalen menschlichen Verkehres zu den Kobolden
des Bösen hinunter. In Nachahmung der Allnatur wurde
Heinrich immer grausamer gegen alle Wesen; er marterte
die Gnomen. So lange er gleichen Schritt hielt mit der Natur,
blieb er ihr Meister. Ueber Knirschen und Thränen der
Lebewesen schreitet sie theilnahmslos hinweg. Im Momente,
wo die Kinder Heinrichs mit dem Krüglein anlangen, in
welchem sie die Todesthränen der Mutter aufgefangen, müsste
er die menschliche Herkunft völlig abgestreift haben und den
Blick unverwandt nach vorwärts gerichtet halten. Aber der
Erdbürger erwacht in ihm; Heinrich stösst die Elfe von

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 110, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-03_n0110.html)