Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 122
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vom Stapel laufen lassen. Gerne möchte ich Voltaire’sche Bonmots
sammeln, fürchte aber, sie könnten den Unseren nicht druckfähig er-
scheinen. Was gibt’s jetzt für einen Voltaire? Knüppel gibt’s und
keine Voltaires. Die letzten Zähne haben wir einander ausgeschlagen.
Nun, und da habt ihr meine ganze literarische Thätigkeit. Höchstens,
dass ich in uneigennütziger Weise Briefe mit meiner vollen Unterschrift
an die Redactionen sende, worin ich immerfort Mittheilungen mache,
Rathschläge gebe, auf neue Bahnen hinweise. In eine Redaction habe
ich in der vorigen Woche seit zwei Jahren den vierzigsten Brief ge-
schickt, habe für die Postmarken allein vier Rubel ausgegeben. Mein
Charakter taugt nichts, das ist’s.
Ich denke, der Maler hat mich nicht um der Literatur willen
gemalt, sondern wegen meiner zwei symmetrischen Warzen auf der Stirn:
»ein Phänomen«. Ideen hat man nicht, also reitet man jetzt auf Phäno-
menen herum. Nun, wie sind ihm auf dem Porträt meine Warzen
aber auch gelungen! — Sie leben! — Das nennen sie Realismus.
Was aber die Verrücktheit anlangt, so sind bei uns im vorigen
Jahre Viele und wie geschickt, für irrsinnig erklärt worden! »Seht,« hiess
es, »was bei einem solchen selbstständigen Talent« am Ende heraus-
kam! Das hätte man übrigens schon lange voraussagen können «
Das ist’s ja, verrückt machen, das versteht man bei uns, gescheiter
haben sie noch keinen gemacht.
Der Gescheiteste von Allen ist meiner Meinung nach derjenige,
der sich wenigstens einmal im Monate selbst einen Dummkopf nennt
— eine heutzutage unerhörte Fähigkeit! Vormals wusste ein Dumm-
kopf wenigstens einmal im Jahre von sich, dass er ein dummer Kerl
sei; nun, und jetzt — nicht die Spur! Und so weit hat man die
Dinge verwirrt, dass man einen Dummkopf von einem Gescheiten gar
nicht mehr unterscheiden kann. Das haben sie absichtlich gethan. Dabei
fällt mir ein spanischer Witz ein. Als vor zwei und einem halben Jahr-
hundert die Franzosen das erste Irrenhaus bei sich bauten, da sagte
man: sie haben alle ihre Dummköpfe in ein eigenes Haus gesperrt,
um zu beweisen, dass sie selbst gescheite Leute sind!
Das ist nicht richtig, dadurch, dass du einen Andern ins
Narrenhaus sperrst, beweisest du deinen Verstand noch nicht; »K. ist
verrückt geworden«, soll heissen: »Jetzt sind wir gescheit.« Nein, das
heisst es noch nicht.
Uebrigens, zum Teufel was habe ich mich da mit meinem
Verstande breit gemacht? Ich schwatze und schwatze, sogar der Magd
bin ich schon zuwider. Gestern besuchte mich ein Freund. »Dein Styl,«
sagt er, »verändert sich, wird gehackt. Du spaltest und spaltest; zu-
erst ein Zwischensatz, dann zu diesem wieder ein Zwischensatz, dann
schaltest du noch etwas ein, und dann spaltest und zerhackst du aber-
mals.« — — —
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 122, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-04_n0122.html)