Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 123
Text
Der Freund hat Recht. Mit mir geht etwas Seltsames vor; mein
Charakter verändert sich, und der Kopf thut weh. Ich fange an, ge-
wisse seltsame Dinge zu hören und zu sehen. Nicht gerade Stimmen,
sondern als rufe Jemand unter mir Bobók, Bobók, Bobók!
Was für ein Bobók! Ich muss mich zerstreuen.
Ich ging, um mich zu zerstreuen, gerieth zu einem Begräbniss.
Ein entfernter Verwandter von mir. Eine Witwe, fünf Töchter, alle
unverheiratet. Wenn man nur an die Stiefletten denkt, wie hoch kommt
das zu stehen! Der Selige hatte dafür gesorgt, nun, und jetzt — ein
Pensiönchen! Sie werden die Schleppen einschlagen. Mich haben sie
immer unfreundlich aufgenommen; ich wäre jetzt auch nicht dazu
gegangen — wäre es nicht eben ein besonderer Zufall gewesen. Ich
ging mit den Andern im Leichengefolge bis zum Kirchhof. Man geht
mir aus dem Weg, man ist hochmüthig — meine Montur ist that-
sächlich etwas schäbig. — — Fünfundzwanzig Jahre, denk’ ich, war ich
auf keinem Friedhof. Das ist noch ein Plätzchen!
Erstens der Geruch. Fünfzehn Todte hat man herbeigebracht, die
Sargdächer*) waren zu verschiedenen Preisen, sogar zwei Katefalke waren
da, für einen General und für irgend eine Dame. Viele traurige Gesichter,
auch viel geheuchelte Trauer, aber auch viel unverhohlene Lustigkeit.
Die Gemeinde braucht sich nicht zu beklagen — Einnahmen winken ihr
genug. Aber der Geruch, der Geruch. Ich möchte hier nicht geistliche
Person sein.
Die Gesichter der Verstorbenen habe ich mir mit Vorsicht an-
geschaut, da ich mich auf meine Erregbarkeit nicht verlassen konnte.
Es gibt sanfte Todtengesichter, es gibt auch unangenehme. Im Allge-
meinen haben sie ein böses Lächeln, manche sogar ein sehr böses.
Das liebe ich nicht — man träumt davon.
Nach der Messe trete ich aus der Kirche; der Tag war ein
wenig grau, aber trocken. Auch kühl war’s — nun freilich, es ist ja
October. Ich ging zwischen den Grabhügeln herum. Verschiedentliche
Kategorien gab es da. Die dritte zu dreissig Rubeln, scheint ganz
anständig und ist dabei gar nicht so theuer. Die ersten zwei stehen
in der Kirche und in der Vorhalle; nun, die sind schon gesalzen.
In der dritten Kategorie wurden diesmal sechs Leute begraben, unter
diesen der General und die Dame.
Ich habe in die Gruben hineingeschaut — schrecklich! Wasser,
und was für Wasser! Ganz grün und nun, was noch Alles!
Beständig warf der Todtengräber mit einer Schöpfschaufel davon hinaus.
Ich trete, während drin der Gottesdienst noch dauerte, aus dem Thore.
Hier, knapp nebenan, ist das Armenhaus und etwas weiterhin auch
ein Restaurant. Nicht übel das Restaurantchen, man bekommt was
zu essen und sonst noch was. Es war gestopft voll von Trauergästen.
*) Die Särge bleiben bei der Leichenfeier unter Sargdächern offen in der
Kirche stehen.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 123, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-04_n0123.html)