Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 144

Melchior Lechter (Servaes, Franz)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 144

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144 SERVAES.

und die Beschläge, die Decken und die Wände nach eigenen Zeich-
nungen anfertigen lassen und dadurch seine Wohnstätte zu einem
Sanctuarium gemacht, über dem der Hauch einer höheren Weihe ruht.
So sollen nach seiner Idee auch die gemalten Tafelbilder nicht zu-
fällige Prunkstücke beliebiger Räumlichkeiten sein. Sie verlangen eine
wohlabgestimmte Umgebung, wo sie rhythmisch ins Ganze klingen.
Daher müsste der Maler zugleich Innenarchitekt sein und genau für
seine Bilder: dort eine verschwiegene Ecke, drüben eine stolz aus-
ladende Nische schaffen, oder zu intimerem Genuss stellt er eine be-
quemere Staffelei zurecht, und stets ist es seine erste Sorge, dass nichts
in der Nähe ist, was störend oder ablenkend wirkt.

Durch diesen Blick aufs Ganze bekommt der decorative Zug in
Lechter’s Kunstwirken seine monumentale Bedeutung. Die Kunst soll
für das Leben des ästhetisch verfeinerten Menschen nicht ein leeres
Anhängsel sein. Sie soll sein ganzes Dasein veredeln, durchtränken.
Sie muss die Lebensluft werden, in der er athmet. Froh stimmen wir
ein in diese stolze Auffassung von der Würde der Kunst. Wenn sie
uns nicht das Höchste sein kann, so mag sie uns lieber gar nichts
bleiben.

Dieser Grundauffassung gemäss sind auch die Tafelbilder Lechter’s
an erster Stelle als Erzeugnisse des decorativen Kunstgeistes zu
würdigen. Gewiss wird man finden dürfen, dass vor Allem Böcklin,
dann die englischen Präraphaeliten, ferner Hofmann und Stuck, aus
weiterer Ferne selbst Puvis de Chavanne im Ganzen und Einzelnen
starke Anregungen hinterlassen haben. Auch die Elemente der mittel-
alterlichen Ornamentik und sehr im Constrast dazu Japan, das ja
nirgends mehr fehlen darf, sind als stylistische Vorbilder häufig er-
kennbar. Aber wäre Lechter nicht die eigene starke Künstlerpersön-
lichkeit, — welch ein wirres Gemenge unverarbeiteter Reminiscenzen hätte
aus diesen vielerlei Einwirkungen entstehen müssen! Statt dessen aber
herrscht gerade das Gegentheil: eine sichere, ruhige Klarheit, eine
vornehme Abgewogenheit und Harmonie, keinerlei Haschen und Flackern,
kein Getümmel. Der unbeirrbare decorative Instinct in Melchior Lechter,
sein untrügliches Stylgefühl haben hier jegliches Ausgleiten verhindert.
Er geht so stark und tief in die Farbe wie keiner, selbst Böcklin lässt
er hinter sich — und doch keinerlei Kreischen und Exaltirtthun, Alles
liegt gebändigt, umfriedet im Ruhehafen dieses wohlponderirten Künstler-
naturells.

Dies gibt den Bildern die individuelle Note: die Lautlosigkeit,
die darüber liegt. Nur wer mit klarheitsvoller, unbewegter Seele in das
verzerrte Getriebe des modernen Lebens und darüber weg schaut, vermag
solche Bilder zu schaffen. Nur wo die »blaue Blume Einsamkeit«
duftet, regen sich solch zarte und stille Träume. Sie wirkt fast be-
ängstigend, diese Ruhe, und oft ist sie nicht fern von Starre. Etwas
Todtenhaftes liegt dann über dem blühend ausgebreiteten Teppich der
Farben. Man sucht die Seele, das leise Zittern und geheime Vibriren,
das uns erst verräth, wo Leben ringt

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 144, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-04_n0144.html)