Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 5, S. 168
Text
»Ach nein, nein! Das kann ich durchaus nicht. Ich bin bei Schulz
in Behandlung; bei mir, wissen Sie, ist eine Complication dazugekommen;
anfangs hat es die Brust ergriffen, Husten, dann aber hab’ ich mich
erkältet. Die Brust also und Grippe und da, plötzlich, ganz uner-
wartet die Hauptsache ist: ganz unerwartet.«
»Sie sagten, anfangs war es die Brust,« mischte sich gleichsam
aus dem Wunsche, den Neuling zu ermuthigen, sanft der Beamte ein.
»Ja, die Brust und Verschleimung, dann aber plötzlich hörte die
Verschleimung auf nur die Brust, und kein Athem und wissen
Sie «
»Ich weiss, ich weiss. Aber wenn’s die Brust ist, da hätten Sie
eher zu Eck sollen und nicht zu Schulz.«
»Ich aber, wissen Sie, hatte immer vor, zu Botkin zu gehen
und plötzlich «
»Nun, Botkin ist gesalzen,« bemerkte der General.
»Ach nein, er ist gar nicht gesalzen; ich habe gehört, dass er
so aufmerksam ist! Und Alles sagt er im Voraus!«
»Seine Excellenz haben das in Bezug auf das Honorar gesagt,«
erläuterte der Beamte.
»Ach, warum nicht gar! Nur drei Rubel und dabei untersucht er
so gründlich und das Recept ich habe unbedingt zu ihm
gehen wollen, weil man mir gesagt hatte Also, was meinen Sie, meine
Herren, soll ich zu Eck oder zu Botkin?«
»Was? Wieso?« wiegte sich angenehm lachend des Generals
Leichnam hin und her. Der Beamte accompagnirte ihn in der Fistel.
»Lieber Junge, lieber, erfreulicher Junge, wie liebe ich dich!«
winselte entzückt Awdotja Ignatjewna, »wenn man doch einen Solchen
neben mich legte!«
Nein, das kann ich nicht zugeben! Uebrigens will ich weiter zu-
hören, nicht voreilig urtheilen. Dieser kleine Neuling — ich erinnere
mich, ihn vorhin im Sarge gesehen zu haben — einen Ausdruck hat
er wie ein erschrecktes Küchlein, das widerwärtigste Gesicht von der
Welt! Indessen, was kommt weiter.
Aber weiter begann ein solches Getümmel und Gezanke, dass ich
nicht einmal Alles im Gedächtniss behalten habe, denn es wachten sehr
Viele zugleich auf. Es wachte auf ein Beamter aus der Kategorie der
Staatsräthe und fing sofort und unmittelbar an, mit dem General über
das Project einer Subcommission im Handelsministerium und über die
wahrscheinlich damit verbundene Versetzung der amtirenden Persönlich-
keiten zu sprechen, was den General ganz ausserordentlich aufheiterte.
Ich gestehe, dass ich selbst dabei viel Neues erfuhr, so dass ich mich
über die Wege wunderte, auf welchen man in unserer Hauptstadt
manchmal administrative Neuigkeiten erfahren kann. Dann erwachte
halb und halb ein Ingenieur; der murmelte aber noch lange Zeit einen
vollkommenen Unsinn, so dass die Unseren sich gar nicht an ihn
kehrten und ihn seine Frist abliegen liessen. Endlich bekundete eine
gewisse Grabesbelebung die am heutigen Morgen auf dem Katafalk bei-
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 5, S. 168, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-05_n0168.html)