Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 5, S. 169

Der Bobók (Dostojewsky, F. M.)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 5, S. 169

Text

DER BOBOK. 169

gesetzt gewesene, vornehme Dame. Lebesjatnikow (denn der schmeichle-
rische und mir verhasste Hofrath, welcher neben dem General seinen
Platz gefunden hatte, hiess, so zeigte es sich, Lebesjatnikow) war sehr
geschäftig und auch sehr verwundert, dass diesmal alle so schnell er-
wacht waren. Ich gestehe, auch ich wunderte mich. Uebrigens waren
einige der eben Erwachten schon vor drei Tagen begraben worden,
wie z. B. ein ganz junges, sechzehnjähriges Mädchen, das aber unauf-
hörlich kicherte — widerlich und lüstern kicherte.

»Excellenz, der Geheimrath Tarassjewitsch belieben aufzuwachen!«
verkündete plötzlich Lebesjatnikow ausserordentlich eilfertig.

»Eh? was?« murmelte mit einemmale verächtlich und mit heiserer
Stimme der eben erwachte Geheimrath. Ich horchte neugierig auf,
denn in den letzten Tagen hatte man über denselbigen Tarassjewitsch
von etwas im höchsten Grade Bethörendem und Beunruhigendem
sprechen gehört.

»Ich bin es, Euer Excellenz, vorläufig ganz allein nur ich!«

»Um was bitten Sie, und was ist Ihnen gefällig?«

»Einzig und allein, mich um das Befinden Euer Excellenz zu er-
kundigen; aus Ungewohntheit fühlt sich hier ein Jeder beim erstenmal
etwas beengt General Kerwojedow wünscht die Ehre Ihrer Bekannt-
schaft, Euer Excellenz, und wünschen «

»Ich höre nicht.«

»Bitte, Euer Excellenz, der General Kerwojedow Wassily Wassil-
jewitsch «

»Sie sind der General Kerwojedow?«

»Nein, Euer Excellenz, ich bin nichts weiter als der Hofrath
Lebesjatnikow, Ihnen zu dienen, der General Kerwojetow aber «

»Unsinn! Und nun bitte ich, mich in Ruhe zu lassen!«

»Genug,« sagte endlich würdevoll General Kerwojedow selbst, der
widerwärtigen Geschäftigkeit seines Grabgenossen Einhalt gebietend.

»Seine Excellenz sind noch nicht vollständig aufgewacht, Excellenz,
man muss das im Auge behalten; das war aus Ungewohnheit, Seine
Excellenz werden erwachen und werden es dann anders aufnehmen «

»Genug!« wiederholte der General.



»Wassilji Wassiljewitsch! He, Excellenz!« schrie plötzlich laut
und zornig knapp neben Awdotja Ignatjewna eine ganz neue, herrische
und freche Stimme mit einer modisch ermüdeten Aussprache und
einem impertinent skandirenden Tonfall. »Ich beobachte euch Alle schon
zwei Stunden lang, liege ja schon seit drei Tagen hier — erinnern
sich doch meiner, Wassilji Wassiljewitsch! was!? — Klinewitsch, bei
Wotokonskys getroffen, wo man Sie, ich weiss nicht warum, auch einliess.«

»Wie, Graf Peter Petrowitsch ja — sind Sie denn? und in
so jungen Jahren wie bedaure ich!«

»Ja, bedaure selbst — übrigens ist mir’s einerlei, und ich will
von überall das Möglichste herausschlagen. Aber nicht Graf, nur Baron,

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 5, S. 169, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-05_n0169.html)