Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 5, S. 170
Text
ganz einfach nur Baron; wir sind nur so schäbige Barönchen aus dem
Lakaiengeschlecht, ja, und ich weiss auch gar nicht wozu — spucken
kann man drauf. Ich bin ein Taugenichts aus der pseudo-höheren Ge-
sellschaft und rechne mich zu den »liebenswürdigen Polissons«. Mein
Vater war irgend ein Generälchen, und meine Mutter war einmal
en haut lieu aufgenommen. Ich habe im vorigen Jahre mit Ziphel, dem
Juden, um fünfzigtausend Rubel falsche Papiere in Umlauf gebracht.
Ihn hab’ ich dann angezeigt. Das Geld aber hat Julchen Charpentier
de Lusignan nach Bordeaux mit sich genommen. Und, denken Sie
nur, ich war schon wirklich verlobt — Schtschewalewskaj, drei Monate
fehlten ihr zum sechzehnten Lebensjahre, noch im Institut, neunzig-
tausend Mitgift. Awdotja Ignatjewna, erinnern Sie sich, wie Sie mich
vor 15 Jahren, als ich noch ein vierzehnjähriger Page war, verführt
haben?«
»Ach, du bist das, Taugenichts?! Nun, dich hat der Herrgott
geschickt — hier aber «
»Sie haben Ihren Nachbar, den Handelsmann, ganz ungerecht
des schlechten Geruchs verdächtigt ich habe dabei nur geschwiegen
und gelacht, das kommt ja von mir, mich hat man drum auch in
einem vernagelten Sarge begraben.«
»Ach, du Nichtswürdiger! Aber ich bin dennoch froh. Sie glauben
nicht, Klinewitsch, Sie glauben nicht, was hier für ein Mangel an Leben
und Geist ist.«
»Nun ja, jawohl. Ich habe auch die Absicht, hier etwas Origi-
nelles einzuführen. Excellenz! Nicht Sie, Kerwojedow, Excellenz, der
andere, Herr Tarassjewitsch, Geheimrath, melden Sie sich doch! Hier
Klinewitsch, der Sie in der Fastenzeit zu Mlle. Furie gebracht hat,
hören Sie «
»Ich höre Sie, Klinewitsch, sehr erfreut und glau—ben
Sie «
»Keinen Heller glaub’ ich, spucke drauf! Ich will Ihnen, lieber
Greis, nur den Willkommenskuss geben, aber, Gott sei Dank, ich kann
es nicht. Wisst Ihr, meine Herren, was dieser grand’père geleistet
hat? Vor drei oder vier Tagen ist er gestorben und, könnt Ihr’s euch
vorstellen? er hat in der Staatscasse ein Deficit von ganzen 400.000
Rubeln zurückgelassen. Das Geld der Witwen und Waisen, mit dem
er, weiss Gott warum, ganz allein gewirthschaftet hat, so dass man
zuletzt ganze acht Jahre nicht bei ihm revidirte. Ich kann mir
denken, was für lange Gesichter sie jetzt machen und in welchen Aus-
drücken sie seiner gedenken. Eine saftige Vorstellung, nicht wahr?
Ich habe mich das ganze vorige Jahr hindurch gewundert, wie ein
solches mit Podagra und Chiragra behaftetes Alterchen noch so viel
Kraft zur Liederlichkeit aufbringt und — nun, da ist auch die Lösung.
Diese Witwen und Waisen — ja, schon der Gedanke an sie hätte ihm
siedeheiss machen müssen! Ich habe das schon lange gewusst —
ich allein hab’s gewusst. Mir hat es die Charpentier mitgetheilt, und
wie ich’s erfahren habe — gleich zu ihm, in der Osterwoche, und habe
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 5, S. 170, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-05_n0170.html)