Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 6, S. 202
Text
in ihren Armen. Sie strich dem Mädchen beruhigend über das reiche
blonde Haar.
»Ich glaube, Ihre Eltern werden sich über die Nachricht freuen.
Franz Heller gilt für einen ungewöhnlich gebildeten, denkenden und
vornehmen Künstler.«
»Excellenz — das ist’s, was mich gleich so gefesselt hat! Wir ver-
stehen uns in dem, was wir wollen! Das ist’s! Er denkt so hoch von
der Kunst! Nicht wie Manche, die mit dem Publicum kokettiren. Er
nimmt es ernst! Seine Kunst geht ihm über Alles! Ich glaube im
Grunde noch über mich «
»Das wird wohl schwer zu entscheiden sein,« scherzte die alte
Dame, die in ihrem grossen Abendpelz auf einem Stuhl neben Olgas
Toilettentisch sass und ihr zusah, wie sie plaudernd, aufgeregt, hin
und her gehend, die bunten Renaissancekleider ablegte und ihr Ge-
sicht mit weichen Tüchern rieb, unter der Schminke eine noch immer
gesunde, frische Haut enthüllend.
»Nein, ernstlich —!« rief das Mädchen mit frohem Triumph,
»ich habe meinem dummen Herzen in diesen Tagen immer wieder
zugerufen: der Mann entschliesst sich nie zu einer soliden bürger-
lichen Heirat — er ist so mitten drin im Streben und Ringen, er
stürmt von Erfolg zu Erfolg Und so eifersüchtig ist er auf seine
Freiheit Aller Genuss, auch der schönste, ist ihm daneben nur
flüchtige Sensation das habe ich mir gesagt — —« schloss sie
nachdenklich verwundert.
»Die Liebe siegt eben über alle Bedenken,« antwortete die alte
Dame herzlich.
»Sagen Sie, Olgchen — wir sind doch noch zusammen? Müssen
doch auf die Gesundheit des Brautpaars trinken! Anna und Lisa sind
voran nach Haus geschickt. Sie sollen Champagner aus dem Keller
holen! Nur ein paar Freunde «
»Ja, Excellenz — nicht zu viel fremde Menschen!«
»Gewiss, gewiss. Ich kann mir schon denken, wie Ihnen zu
Muthe ist. Nur mein Bruder und seine Familie — und wen Sie Sonn-
tags gewöhnlich bei uns treffen.«
»Ich darf auch nicht zu spät heim kommen. Muss morgen das
Gretchen spielen «
»Morgen? Sie werden sehr angestrengt!«
»Ich bin doch nun einmal seine Partnerin!«
Wie stolz das klang.
»Dann wollen wir Sie ja nicht lange halten. Ich dachte nur, es
wäre Ihnen lieb, heute Abend noch mit Heller zusammen sein zu
können. Und da Sie allein wohnen «
»O ja! Ich bin Ihnen so dankbar!«
»Was meinen Sie —« begann Frau v. Wabern zögernd, »ob wir
den Director auch bitten?«
»Liebe Excellenz, ist Ihnen das nicht fatal?«
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 6, S. 202, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-06_n0202.html)