Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 6, S. 203
Text
Die Excellenz lächelte mit dem liebenswürdig-feinen Lächeln der
Frau von Welt. Sie nahm Olgas Arm, um zu gehen.
»Der arme Director, wir wollen milde gegen ihn sein. Er ist ja
nun nicht mehr zu fürchten.«
»Ach, nein,« rief Olga mit hellem Spott, »der Aermste ist nicht
mehr zu fürchten!«
In den Familien, wo das Mädchen verkehrte, deutete man ihr
zuweilen an, dass sie bewundert werde, weil sie sich auf dem schlüpfrigen
Boden hinter den Coulissen so unverletzt aufrecht hielt.
Darüber musste sie sich doch heimlich amüsiren. Sie konnte nie
begreifen, dass man so viel Wesens um die kämpfende Tugend machte.
Die anständige Schauspielerin zu bleiben — im Grunde war’s ein Sport
wie ein anderer auch.
Humoristisches Kameradenthum — wie weit man damit kam,
hätte Niemand geglaubt. Die gesellschaftliche Gewandtheit half ihr
auch. Mein Himmel — und vor Allem der gute Geschmack. Oft hatte
man sogar ein bischen Spass dabei
Mit Heller war es vom ersten Augenblick etwas ganz Anderes
gewesen. Er machte ihr nicht den Hof, er trat ihr als Freund ent-
gegen. Und sie bewunderte, verehrte ihn als Künstler, noch mehr denn
als Mann. Darum fühlte sie sich mit ihm allein so sicher und geborgen.
Vor ihrer Phantasie schwebte ein Lebensbild von gemeinsamem
Arbeiten und gemeinsamem Streben.
Und sie verzieh dem Director jede Unannehmlichkeit, die er ihr
bereitet hatte, um des Trinkspruches willen, den er heute Abends am
Tisch von Excellenz Wabern ausbrachte.
Franz Hellers geistreiches und überlegenes Gesicht bekam dabei
einen leichten spöttischen Zug. Aber unter dem Tisch drückte er Olga
die Hand. Dann erhob auch er sich. Und er war wohl eine andere Er-
scheinung als der Director.
»Er gehört eben in die gute Gesellschaft,« hatte Excellenz vorhin
Olga zugeflüstert.
Während er dem Director antwortete, ergriffen seine Finger den
Myrthenzweig, der seinen Teller geschmückt hatte, und spielend
schlugen sie damit einen leichten Takt zu seinen Worten. Eigentlich
ironisirte er die Rede des Directors, aber es geschah so scherzhaft und
graziös, dass bei seinen drolligen Pointen die kleine Tischgesellschaft
ihn oft mit beifälligem Gelächter unterbrach.
Nur Olga fühlte sich enttäuscht. Sie hatte erwartet, er werde
bedeutender und wärmer reden. Aber wieder verstand sie es auch,
dass er sein Bestes nicht vor Director Luckner preisgeben mochte.
Und dann wusste sie ja, dass er an sich von der Ehe gering und ver-
ächtlich dachte. Darüber lachte sie jedoch im Innern. Hatte er ihr
nicht alle diese abscheulichen Principien zum Opfer gebracht? In zehn
Jahren sollte er schon anders denken
Und da sie ein kluges Mädchen war, überwand sie die Ent-
täuschung und zeigte ihm heiteren Beifall gleich den Anderen.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 6, S. 203, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-06_n0203.html)