Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 6, S. 214
Text
Ich liess überall im Lande und bis auf das Meer hinaus
nach ihm suchen. Man fand ihn nicht. So hoffte ich wenig-
stens diejenigen zu retten, die er, ohne es zu wissen,
hatte leiden lassen, denn er war immer der weichste der
Männer und der beste der Väter, aber ich glaube, auch
dafür zu spät gekommen zu sein. Ich weiss nicht, was
vorgefallen ist. Sie haben bisher nicht gesprochen. Als sie
das Klirren des Eisens hörten und plötzlich das Licht wieder
sahen, glaubten sie ohne Zweifel, dass mein Vater die Henkers-
frist bedauerte, die er ihnen gewährt hatte, und dass man
komme, ihnen den Tod zu bringen, oder sie glitten aus, als
sie auf dem Felsen zurückwichen, welcher den See überragt,
und fielen aus Versehen hinab. Aber das Wasser ist nicht
tief an jener Stelle, und es gelang uns ohne Mühe, sie zu
retten. Ihr allein könnt jetzt das Uebrige thun (Palomides’
Schwestern haben sich genähert.)
Der Arzt.
Sie leiden Beide an demselben Uebel, und zwar an
einem Uebel, das ich nicht kenne. Aber es bleibt mir wenig
Hoffnung. Sie werden sich in den unterirdischen Gewässern
erkältet haben; oder diese Gewässer sind wohl vergiftet.
Man fand darin den zersetzten Leichnam von Alladinens
Lamm. Ich komme diesen Abend wieder. Einstweilen be-
dürfen sie der Ruhe Die Lebensfluth ebbt in ihren
Herzen Betretet ihre Zimmer nicht und sprecht nicht
zu ihnen, denn das geringste Wort kann ihnen bei ihrer
Schwäche den Tod bringen Es wäre nothwendig, dass
sie dahin gelangten, einander zu vergessen. (Geht fort.)
Eine von Palomides’ Schwestern.
Ich sehe, er wird sterben
Astolaine.
Nein, nein weint nicht in seinem Alter stirbt
man nicht so leicht
Eine andere Schwester.
Aber warum war Euer Vater gegen meinen armen
Bruder ohne Grund so erzürnt?
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 6, S. 214, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-06_n0214.html)